Wohin geht die Reise am Kapitalmarkt, wohin an den Immobilienmärkten? Was passiert eigentlich gerade? Ist es nicht auffällig ruhig in Deutschland? Die Ruhe vor dem Sturm? Kommt der nächste Crash?
Um ein paar Antworten vorweg zu nehmen: Ja, es ist die Ruhe vor dem Sturm. Ja, der nächste Crash kommt. Und zwar voraussichtlich im vierten Quartal 2013, wenn nicht eine ganze Reihe von Gegenmaßnahmen greifen. Warum ist das so? Wir haben aktuell eine enorme Überproduktion in Deutschland, billigstes Geld und bereits viel zu viel Liquidität in den Märkten. Die Hoffnung der EZB, dass die Liquidität in Südeuropa ankommt (wo sie gebraucht wird), wird sich nicht erfüllen. Das Geld wird in Mittel- und Nordeuropa bleiben. Die Politik ist ratlos… nach der Bundestagswahl werden die Volksvertreter ihre Ratlosigkeit in Taten umsetzen. Steuer-Erhöhungen in Deutschland stehen an. Das ist zwar grundverkehrt, wird aber trotzdem gemacht werden – unter dem Deckmäntelchen, die Energiewende finanzieren zu müssen. Tatsächlich ist es eher ein Nachgeben des Drucks unserer europäischen Nachbarn, die deutsche Wettbewerbsfähigkeit einzugrenzen.
Das hat für alle Beteiligten durchaus Vorteile – nur nicht für die Bürger. Die europäischen Nachbarn sind zufrieden, Deutschland kann seine Staatsschulden reduzieren und Liquidität aus dem Markt nehmen. Das Perfide an der Sache ist, dass der Staat durch Steuererhöhungen und Inflation von den Bürgern Geld einnimmt und damit seine Schulden reduziert, die er bei seinen Bürgern gemacht hat. Mit anderen Worten: der Staat tilgt seine Schulden nicht, sondern lässt die Bürger die Schulden des Staates bei sich selbst bezahlen. Salopp gesprochen, kann man das als eine schleichende Enteignung bezeichnen. Interessant, dass unseren Politikern nichts anderes einfällt. Dabei gäbe es durchaus ein paar Möglichkeiten: Wie wäre es zum Beispiel mit Sparen? Ausgaben reduzieren? Z.B. die Anzahl der Bundestagsabgeordneten halbieren – ebenso damit die Anzahl der Mitarbeiter? Wie wäre es mit Subventionsabbau?
Wie sind wir eigentlich in die Situation gekommen, in der wir uns jetzt befinden? Wie wäre es mit ein paar ganz einfachen Wahrheiten?
Fangen wir einmal mit der „Inflation“ an.
Ganz offensichtlich hat sich etwas verändert… Zählen Sie mit: 1970 bis 1978. Ein Zyklus – einmal rauf, einmal runter. Von einem Minimum, zu einem Maximum, zu einem Minimum. Dauer: acht Jahre. 1978 bis 1986. Ein Zyklus, acht Jahre. 1986 bis 1994. Einmal rauf, einmal runter. Acht Jahre. Und plötzlich hört es auf. Haben wir 1994/95 unser Wirtschaftssystem radikal umgebaut? Haben wir die soziale Marktwirtschaft umdefiniert? Preise „atmen“ plötzlich nicht mehr… wir haben die Inflation abgeschafft? Wie haben wir das geschafft? Die großen Schwankungen sind weg. Die 8-Jahres-Zyklen hören auf… wir haben die Inflation besiegt und die Geld- und Marktwirtschaft neu erfunden! Klasse!
Oder kann es etwas anderes sein? Haben wir wirklich „Wirtschaft neu erfunden“? Wenn wir in der Geschichte zurückgehen, dann stoßen wir im Zuge der deutsch-deutschen Wiedervereinigung und der Jahre zuvor auf eine besondere Situation. Die europäische Einigung sollte beschleunigt vorangetrieben werden. Insbesondere Frankreich hatte große Angst vor der Wiedervereinigung und war überspitzt gesagt seit Mitte der 1980-er Jahre nahezu pleite. (wie fast alle Südländer). Die französische Geldpolitik war hoffnungslos gescheitert. Es gab sogar in Frankreich öffentliche Überlegungen, die DM als Währung einzuführen. Und das war nicht nur ein reines Sandkasten-Spiel… die Überlegungen gingen soweit, dass als Bedingung für die Einführung der DM (und damit den Verlust der Geldsouveränität Frankreichs) gefordert wurde, dass ein Franzose den Vorsitz der Deutschen Bundesbank übernimmt. Dies alles war aber nur „Show“ und Geplänkel. Fakt ist, dass Frankreich Angst hatte vor einer deutschen Übermacht in Europa. Präsident Mitterand hatte oft betont, dass die DM quasi die deutsche Atombombe sei und man diese den Deutschen nehmen müsse, um die deutsche Übermacht in der Europäischen Union einzudämmen und halbwegs kontrollieren zu können. Mitterand war klar, dass die wirtschaftliche Übermacht Deutschlands innerhalb der EU weiter zunehmen würde – und kein Land in der EU Schritt halten kann. Einen Ausweg sah er darin, dass entweder die DM europäische Währung (unter französischem Vorsitz) wird – oder eine europäische Währung die DM ersetzt.
Die Chance bot sich im Zuge der Verhandlungen zur Wiedervereinigung. Die Verhandlungen zur Einführung einer Gemeinschaftswährung (als Teil des europäischen Friedensprozesses „wir haben alle das gleiche Geld“) liefen parallel und mündeten in den Maastricher Verträgen. Erster Präsident der neu geschaffenen Europäischen Zentralbank war übrigens der Niederländer Wim Duisenberg – allerdings unter der Auflage, seine Amtszeit nicht auszuschöpfen, sondern vorzeitig seinen Platz für den Franzosen Jean-Claude Trichet zu räumen, dessen Unterschrift heute die Euro-Banknoten ziert. Präsident Mitterand hatte sein Ziel erreicht: die DM verschwand zugunsten einer europäischen Währung, die unter französischer Präsidentschaft stand. Seine Zugeständnisse waren, dass die EZB ihren Sitz in Frankfurt am Main hat und sie nach deutschem Vorbild errichtet wurde.
Und was hat das mit der Inflationsrate zu tun? Das ist einfach… in Vorbereitung auf die Einführung der Euro wurde der ECU (European Currency Unit) als vorweggenommene Verrechnungseinheit geschaffen. Aus der Einführung des ECU in den 1990-er Jahren folgten sich angleichende Zinsbänder in den EU-Staaten, die für die Einführung der Gemeinschaftswährung vorgesehen waren. Das ist auch richtig. Eine einheitliche europäische Währung hat zwingend einen einheitlichen Preis für Geld, also Zins, zur Folge. Das Gegenstück zum Preis für Geld ist der Preis für Waren, Güter und Dienstleistungen – salopp gesprochen: die Inflation. Auch hier gab es ein Geben und Nehmen. Mitterand und Kohl war bewusst, dass die mögliche Aufgabe der DM in der deutschen Bevölkerung mit großen Vorbehalten versehen war. Die Deutschen fürchteten sich vor einer „Weichwährung“. Die Erfahrungen aus der Hyperinflation sowie der Blick auf die süd-europäischen Währungen schürten deutsche Ängste. Die DM war die Hartwährung schlechthin – die Kaufkraft-Stabilität der DM musste auf eine europäische Währung übertragen werden. Das war auch durchaus im Sinne von Mitterand und seinen süd-europäischen Kollegen. Die Süd-Europäer bekommen die Kaufkraft und Stabilität der DM, obwohl sie diese selbst überhaupt nicht erwirtschaften konnten und können. Und als Geschenk obendrein bekommen die süd-europäischen Länder auch noch den gleichen günstigen Zinssatz wie die Bundesrepublik, um sich verschulden zu können. Die Verlockung war groß… das Geld winkte. Und das Desaster nahm seinen Beginn – mit Ansage. Der Griff in den Kassen, genauer in die Schulden, mit der geliehenen Bonität der Nord-Europäer, insbesondere Deutschen, war möglich. Dabei hatte man in Frankreich, Italien, Spanien, Griechenland und Portugal vergessen, dass die eigene Wirtschaftsleistung nie reichen wird, um die Differenzen zwischen entliehener Bonität und eigenen Schulden auf den eigenen Haushalt auszugleichen…
Was war nun noch zu tun? Man brauchte eine Beruhigungspille für die Deutschen (die Preise sind stabil, der Euro ist nicht „weich“) und zugleich brauchte man einen wahrnehmbaren positiven Effekt für die europäische Bevölkerung in Summe. Der Euro „tut“ etwas Gutes. Mit der gemeinsamen Währung entsteht Stabilität in Europa. Wohlstand wird von Norden nach Süden getragen, weil die Südwährungen nicht mehr an Außenwert verlieren und zugleich die Inlandspreise für südeuropäische Verhältnisse historisch stabil bleiben. Um dies zu erreichen wurde auf Basis der Konzepte Europäischer Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG 1995) der „Harmonisierte Verbraucherpreisindex“ (HVPI) eingeführt.
Die Konstruktion des HVPI, insbesondere des Standardwarenkorbes, erlaubt eine Glättung des Preisniveaus. Hinzu kommt, dass der Warenkorb in dieser Form nicht existiert. Es sind statistische und standardisierte Durchschnittsgrößen, die in dieser Form nicht zwingend der Lebenswirklichkeit der Menschen entsprechen. Oftmals entspricht die subjektive Wahrnehmung nicht der berichteten offiziellen Inflation. Die Lücke bezeichnet man als „Schatteninflation“. Der gefühlte und wahrgenommene (und teilweise auch nachweisbare) Verlust an Kaufkraft ergibt sich als Summe aus Inflationsrate und Schatteninflation. Wie hoch dieser Verlust an Kaufkraft ist, kann ein jeder bei sich selbst ausmachen – mit seinem persönlichen, echten Warenkorb. (Meine persönliche Inflationsrate liegt übrigens zwischen 5,0% und 5,5%…)
Die „künstlich“ niedrige Inflation hat weitreichende Konsequenzen. Die Inflationsrate ist in vielen Rechtssystemen, insbesondere in der Immobilienwirtschaft, Grundlage vertraglicher Regelungen. So sind zum Beispiel Mietanpassungen oft an die Entwicklung der Inflation geknüpft. Damit wird gewissermaßen die Umsatzseite der Immobilie gedeckelt, während die Kostenseite (Baukosten, Lohnkosten, Energiekosten) weit stärker steigt und gestiegen ist als die berichtete offizielle Inflationsrate Glauben macht und als Ausgleichspotenzial hergibt. Hier entsteht eine enorme Herausforderung für die Immobilienmärkte, weil natürlich auch die Wertentwicklung der Immobilien (und damit Beleihungsgrenzen etc.) an die Entwicklung der Mieten und der Mietüberschüsse geknüpft sind.
Auch die Staaten sind von der Inflation betroffen. Eine niedrige Inflationsrate entwertet die Staatsschulden nicht so schnell. Dieses Ventil bleibt verschlossen. Gleichzeitig können sich konjunkturelle Schwankungen in unserem neuen System weder in Wechselkursschwankungen noch in großen Inflationsunterschieden entladen. Wenn also Wechselkurse und Leitzinsen zur Differenzierung wegfallen und somit der Preis für Geld einheitlich ist, werden sich zwingend die nationalen Inflationsraten ein Stück weit angleichen. In der Folge müssen sich Produktivitätsunterschiede und konjunkturelle Schwankungen im Arbeitsmarkt entladen – sowohl über die Lohnhöhe als auch über die Beschäftigungsquote (letztlich eine Folge der Lohnhöhe). Diesen Druck kann man eine zeitlang mit steigenden Staatsschulden ausgleichen oder abmildern. Jedoch steigt zwingend die Staatsverschuldung, die aber nur gebremst entwertet wird. Es entsteht eine Spirale, die nur durch radikales Sparen und deutlichen Reallohn-Senkungen durchbrochen werden kann. Aber welche Regierung will das freiwillig ihrer Bevölkerung zumuten? Ich verstehe die griechischen, zyprischen, spanischen und portugiesischen Politiker gut.
Der Fehler wurde „vorn“ gemacht. Die Südeuropäer hätten dem Euro nie beitreten dürfen – der Schuss von Präsident Mitterand ging nach hinten los. Die Unterschiede in Europa werden nicht abgebaut und die Abhängigkeit der Südeuropäer und Frankreichs von Deutschland, den Niederlanden und auch Österreich wird größer. Sie ist heute größer als vor Einführung des Euro. Wenn man so will, ist der Euro eine deutsch-geprägte Währung. Und das liegt nicht daran, dass der Euro von der einen oder anderen Seite „unterwandert“ wäre. Nein, es liegt an der Beweglichkeit des Kapitals. Und dieses folgt der Wirtschaftlichkeit, Produktivität und Prosperität. Und hier ist die Situation in Deutschland eine andere als etwa in Spanien, Italien oder Portugal. Nicht die DM war die „deutsche Atombombe“. Hier hat sich Präsident Mitterand getäuscht. Es sind die Produktivität, das Know How und das deutsche Rechtssystem. Die relative Stärke der DM war nur Folge derselben.
Es wäre für alle Beteiligten besser gewesen, den Euro in dieser Form nicht eingeführt zu haben. Nun haben wir ihn nun einmal. Und als gute Europäer ist es unsere gemeinsame Aufgabe zu überlegen, wie wir gemeinsam aus der aktuellen Krise wieder herauskommen. Vielfach diskutiert, und nun auch vom Kollegen Lucke mit seiner neuen Partei aufgegriffen, ist der Austritt Deutschlands aus dem Euro. (siehe z.B. https://idiw.de/?p=1112) Das mag durchaus eine Alternative sein… Aber es stellen sich zwei Fragen: 1.) Wie lösen wir die Probleme auf dem europäischen Kontinent? und 2.) Was kommt nach dem Austritt? Auf beide Fragen bleiben Lucke und die Politik die Antworten schuldig.
So auch ich. Mir stellt sich eher die Frage, wie wir die Probleme meistern, die in Deutschland auf uns warten – ganz unabhängig davon, welche Währung wir haben werden. Durch die Politik der EZB ist in Deutschland eine Blase entstanden, die gerade noch größer wird. Das Geld kommt nicht in Südeuropa an; in Deutschland treibt es die Preise für Sachwerte und die Produktion auf Halde. Das erinnert fatal an 2007/08. Auf Basis verfälschter Konjunkturdaten spielt die Politik mit dem Feuer. Steuer-Erhöhungsphantasien machen die Runde. Das ist gefährlich, weil die Blase platzen wird, wenn es nicht gelingt, die Liquidität aus dem deutschen Markt zu nehmen. Und mit der negativen Einlagefaszilität geht die EZB mit ihrer jüngsten Zinsentscheidung einen weiteren Schritt in genau die andere Richtung. Sie will die Banken dazu zwingen, die Liquidität in den Markt zu geben… das ist riskant, weil die Blase in Deutschland so noch weiter aufgebläht wird. Wenn dann die Stimmung kippt – z.B. durch Steuererhöhungen, keine Nachfragebelebung im EU-Ausland, keine deutliche Konjunkturbelebung in den USA,… dann wird die Blase platzen. Denn tatsächlich wirkt die Politik der EZB wie ein gigantisches Konjunkturpaket in Deutschland auf Pump. Zu billiges Geld für alle hat uns in diese Krise gebracht – ich habe Zweifel, ob man mit noch billigerem Geld die Krise wird bewältigen können.
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