Dieser Tage zeigt sich der deutsche Politikbetrieb wieder einmal von seiner armseligsten Seite: Das Geschacher um die Durchsetzung partei-politische Interessenslagen und Dogmen ist, milde formuliert, peinlich. Es hat sich eine politische Unsitte eingeschlichen. Themen, die dem Grunde nach, nicht miteinander zu tun haben, werden in einem Paket gebündelt. Dieses Verhalten unserer Volksvertreter ist in höchstem Maße unprofessionell. Es geht offensichtlich nicht um die Sache, sondern vielmehr darum, dass sich eine Seite ihre Zustimmung zum eigentlichen Thema „abkaufen“ lässt durch Zustimmung der anderen Seite zu einem ganz anderen Thema. Es werden also Themen mit einander verknüpft und verwoben, die nicht zueinander gehören (müssen) – und es wird gehandelt wie auf einem Bazar. Und in diesem Zuge tritt das „Gehandel“ in den Vordergrund und das ursprünglich zu diskutierende Thema in den Hintergrund. Es mag zur „politischen Kultur“ gehören, wie mancher Politiker erläutert – erbärmlich ist es dennoch.
Es so werden dieser Tage in diesem Mix verschiedene Themen in Gesetze gegossen. Die private Pflege-Vorsorge kommt im Paket mit dem Betreuungsgeld; der Fiskalpakt kommt im Paket mit der Finanztransaktionsteuer. Alle vier Vorhaben sind nicht ausreichend diskutiert und abgewogen – aber über das o.g. Geschacher werden sie auf den Weg gebracht.
– Die Pflege-Vorsorge springt zu kurz und wird zu Mitnahme-Effekten in der Versicherungsindustrie führen.
– Das Betreuungsgeld, das außer Bayern niemand will, soll mit Geld bezahlt werden, das wir nicht haben und wird zudem von sämtlichen Experten als Fehlleitung abgelehnt
– die Einführung des Fiskalpaketes wird in Deutschland an verfassungsrechtlichen Grenzen „schrammen“; das Haushaltsrecht der Länder wird massiv beschnitten werden. Davon abgesehen, ist es zweifelhaft, dass der Fiskalpakt eine tragfähige Lösung für die europäische Schuldenlast darstellt.
– Die Finanztransaktionsteuer ist ungeeignet, um die damit verfolgten Ziele zu erreichen, siehe Beitrag vom 12. Januar 2012 (https://idiw.de/?p=1035).
Wenn man sich dies alles vor Augen führt, muss man sich die Frage stellen, ob unsere Politiker gegenwärtig noch den Überblick haben und wirklich wissen, was sie gerade tun. Oder sind sie vielleicht mit der Vielzahl der aktuellen Themen und dem für sie vielleicht eher unbekannten Terrain der Finanz- und Kapitalmärkte überfordert?
Ich möchte da kein Urteil fällen – denke aber, dass es jetzt nicht die Zeit ist, für partei-politische Spiele und Taktierereien. Die Themen sollten in der richtigen Reihenfolge nach Wichtigkeit und Dringlichkeit jedes für sich – mit der nötigen Ruhe – diskutiert und in einem Konsens auf den Weg gebracht werden, ohne das eingangs geschilderte Bazar-Verhalten.
Keines der Vorhaben hat einen ausreichenden „Reifegrad“ – und ein Thema wie etwa das Betreuungsgeld hat aktuell nun wirklich keine Priorität. Wichtig ist dieser Tage nur eines: der Blick auf die Wahlen in Griechenland am kommenden Sonntag. Da wird letzten Endes entschieden, wie es mit dem Euro und der Schuldenkrise weitergehen soll – und damit auch darüber, wie viel Geld wir demnächst in Deutschland zur Verfügung haben werden und für was wir dieses einsetzen wollen oder müssen.
Die Politik wäre also gut beraten, ihre Streitereien und ihr Bazar-Verhalten ruhen zu lassen und gemeinsam zu überlegen, wie man auf die möglichen Wahlausgänge in Griechenland und die resultierenden Folgen reagieren will. Und je nach dem, was bei der Wahl in Griechenland herauskommt, ist keines der vier Themen auch nur irgendwie aktuell oder dringlich oder wichtig. Es wird um etwas ganz anderes gehen – um die Frage, wer aus der Euro austreten sollte? Deutschland oder Griechenland? Und wie soll das geschehen und wie geht es dann weiter? Eines, das ist sicher, darf nicht passieren: Griechenland darf ohne tatsächlich umgesetzte Maßnahmen kein weiteres Geld bekommen. Nur wollen das die Griechen wohl nicht… Ich kann mich also nur wiederholen: Es wäre von Anfang an richtig gewesen, Griechenland in eine kontrolliere Staatspleite gehen zu lassen. Und wenn der Euro auseinander bricht, so ist das kein Drama. Europa und die Europäische Einigung sind ein Experiment – und beim Experimentieren passieren nun einmal auch Fehler. Die Einführung des Euro in der gemachten Art und Weise war ein solcher. Das wissen wir nun alle. Warum also daran festhalten und weiter daran rumbasteln? Lasst uns lieber etwas Neues probieren.
Die Grünen-Politikerin Renate Künast sagte gestern im Bundestag etwas völlig Richtiges. Sie stellte die Frage, wohin denn eigentlich die Reise gehen soll? Die Antwort gab sie gleich mit – es gehe darum, dass man in Europa zu einer politischen Union käme. Endlich wird es mal ausgesprochen: die Vereinigten Staaten von Europa. Eine schöne Vision (siehe Beitrag vom 18. August 2011, https://idiw.de/?p=796) – aber wollen wir das eigentlich? Haben wir darüber diskutiert und uns eine Meinung gebildet? Haben wir darüber gesprochen, wie wir das wollen – wenn wir es denn wollen? Und bis wann? Ich glaube nicht. Und ich glaube auch nicht, dass die Mehrheit der Europäer, die europäischen Bevölkerung, der Idee so ohne Weiteres zustimmen würde, wenn man sie fragte. Man müsste den Menschen ganz klar und offen sagen, was das bedeutet, was es jeden Einzelnen kostet und was jeder beizutragen hat – und was die Alternativen sind. Haben Sie davon schon einmal etwas gehört? Wurden Sie darüber befragt, was Sie wollen…?
Wieder einmal ist die Politik im Begriff, den zweiten Schritt von dem ersten zu tun und Weichen in eine bestimmte Richtung zu stellen. Und hier ist die Wissenschaft gefordert: Wir müssen unseren Beitrag leisten, dass die ökonomischen, volkswirtschaftlichen Voraussetzungen geschaffen werden, dass die Möglichkeit besteht, dass ein solches Ansinnen überhaupt erfolgreich stattfinden kann – wenn es denn die Menschen in Europa wollen. Aktuell haben wir weder die ökonomischen Voraussetzungen, noch den erklärten Willen der Bevölkerung. Was also machen unsere Politiker gerade?
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