Je mehr Details der sog. „Pariser Beschlüsse“ öffentlich werden, umso mehr muss man diese kritisch hinterfragen. Das ist schon sehr bemerkenswert, was da in Paris besprochen und vielleicht auch „beschlossen“ wurde. Der Begriff einer „Europäischen Wirtschaftsregierung“ macht die Runde, die Eurobonds sind entgegen der Äußerungen nicht vom Tisch. Beide Themen muss man getrennt betrachten – gleichwohl kratzen sie beide an der deutschen Verfassung und es sind Zweifel erlaubt, ob die Ideen in der aktuell diskutierten Form in Einklang mit der Verfassung stehen.
Europäische Wirtschaftsregierung
Die Politik – hier Frau Merkel und Herr Sarkozy – versuchen, sich den Strömungen der Märkte entgegen zu stellen. Vor meinem inneren Auge habe ich das Bild eines winzigen Eilands in einem riesigen, aufgewühlten Meer. Ein Sturm braut sich zusammen, der Wind pfeift über das Wasser. Zwei Menschen stehen mit ausgestreckten Armen am Strand und beschwören die Götter, sie mögen das Meer beruhigen…
Offen gesagt, ist das, was die Regierungschefs da verkündeten, aus Sicht der Märkte, nicht viel mehr als heiße Luft. Die Märkte wollen Eurobonds – und nicht irgendwelche Ideen, die zu einer weiteren Einigung Europas führen und den Weg zu einem vereinten Europa weiter vorbereiten helfen sollen. Die Kreditgeber wollen schlichtweg einfach nur die Sicherheit, das sie ihre Kredite zurückbekommen – und sie wollen darüber hinaus auch ihren Spekulationsgewinn. Die „stärkeren“ Euro-Ländern sollen das garantieren und bezahlen – schließlich ist es ja auch ihr Europa. So denken die Märkte – und nicht anders.
Man kann den beiden Regierungen eigentlich nur attestieren, dass sie entweder kein Gefühl für die Psychologie der Märkte und / oder zu geringe Sachkenntnis der Marktmechanismen haben – oder, dass sie die Signale bewusst übergehen. Fast hat es den Eindruck, als wollten sie die Flucht nach vorn ergreifen. Ganz getreu dem Motto: jeder Krise birgt eine Chance. Also bezeugt man den Europäischen Geist und will einen nächsten Schritt auf dem Weg zu einem einheitlichen Europa bzw. vereinigten Europa gehen. Die Nationalstaaten werden geschwächt und ihre Erosion begonnen – dafür soll auf der anderen Seite eine Europäische Wirtschaftsregierung entstehen. Letztere soll aus dem Regierungschefs der Nationalstaaten bestehen – nicht etwa aus ihren Parlamenten. Ein merkwürdiges Demokratieverständnis zeigt sich hier…
Es kann so nicht funktionieren. Man sich überlegen, ob Europa schon so weit ist – und dazu muss man die Europäer fragen, ob diese denn einen solchen Weg gehen möchten. Hat Sie jemand gefragt? Mich nicht… und ich glaube, dass sich gegenwärtig in Europa keine Mehrheit unter den Europäern findet, die eine Aufweichung ihrer Nationalstaaten befürworten. Ich glaube vielmehr, dass hier die Politik an der Wirklichkeit vorbeirennt – und nicht sieht oder sehen will, was Menschen und Märkte wollen. Ich glaube, wir Europäer sind noch nicht bereit für ein vereintes Europa und auch nicht für den Weg dorthin.
Außerdem gibt es ein weiteres Problem: Man kann nicht die wirtschaftliche Verfassung eines Landes von seinen gesellschaftlichen Themen trennen. Man kann also nicht eine Europäische Wirtschaftsregierung (auf europäischer Ebene) einführen, ohne hier gleichzeitig übergreifend gesellschaftliche Themen zu verankern. Mit einem Wort: entweder mach’s richtig – oder lass es bleiben. Heisst: Es kann nur funktionieren, wenn es eine zentrale gesamt-europäische Regierung mit eigenem Haushaltsrecht gibt, welche demokratisch durch alle Europäer legitimiert ist. Alles andere sind „halbe“ Sachen und sind kritisch mit ihrer Vereinbarkeit mit der Verfassung zu überprüfen. Gleichwohl braucht es eine umfängliche Verfassungsänderung für die Einrichtung einer zentralen europäischen Regierung – mit deutlichen Voten in den Parlamenten.
Zweifel an der Zustimmung sind angebracht. Aus gutem Grund – schauen wir uns einmal Deutschland an. Bis heute haben es sämtliche Bundesregierungen nicht geschafft, die ökonomischen Spätfolgen der deutsch-deutschen Wiedervereinigung zu bereinigen. Im Gegenteil: der Berg wird vor sich hergeschoben und wird eher größer als kleiner. Deutlicher kann man die Hilflosigkeit der Politik und die mangelhafte Wirksamkeit ihrer Konzepte eigentlich nicht sichtbar machen. An dieser Stelle seien nur drei Schlagwörter genannt: den noch immer bestehenden Solidaritätszuschlag, den strittigen Länderfinanzausgleich und die immense Schuldenlast in der Sozialversicherung. Die deutsche Politik hat schon auf rein innerdeutsche Herausforderungen keine wirklich wirksamen Antworten. In Frankreich sieht es nicht besser aus. Und nun will man sich an die Lösung europäischer und weltweiter Wirtschaftsprobleme wagen? Mich wundert es nicht, dass die Märkte nicht daran glauben… Sie?
Ein weiteres schönes Beispiel für die Hilflosigkeit der Politik ist die geplante Einführung der Finanzmarkt-Transaktionssteuer. Diese wird mit Sicherheit helfen, den deutschen bzw. europäischen Finanzplatz im internationalen Wettbewerb zu stärken… Die Märkte quittierten die Idee mit 5% Abschlag auf die Aktien der Betreiber der europäischen Börsenplätze. Mehr muss man dazu nicht sagen. Die Politik weiß offensichtlich nicht, wie die Märkte „ticken“ oder will es nicht wissen, weil es vielleicht nicht in die eigene Vorstellung / in das eigene Konzept passt. Wenn die Politik wieder „als herrschende Kraft“ im positiven Sinn an den Märkten wahrgenommen werden will, muss sie das anders anstellen. Sie muss die Ursachen bekämpfen – und nicht versuchen, Symptome zu kurieren. So müssten beispielsweise jede Form von Leerverkäufen verboten werden und das Auflegen, der Besitz und der Vertrieb von Hedgefonds in Europa untersagt werden. Gleichzeitig dürfen Spekulationen mit Nahrungsmitteln, Rohstoffen und Energie nur dem Eigenbedarf dienen. Sprich dem Handelsstrom an den Börsen muss ein realer Verbrauch bzw. eine reale Produktion gegenüber stehen. Dann wird da „ein Schuh daraus“…
Bis dahin aber darf sich die Politik nicht wundern, wenn die Märkte weiter nach Eurobonds verlangen. Und wenn man diese nicht begeben und bezahlen will (was ausdrücklich richtig ist), dann muss man das deutlich sagen und auch konsequent sein. Das heisst, dass man die PIIGS entweder aus dem Euro temporär entlässt oder eben den Euro scheitern lässt. Das ist nicht so schlimm, wie viele meinen. Es war dann eben ein schöner Versuch, der aufgrund verschiedener Konstruktionsmängel nicht erfolgreich war. Na und? Es gab in Europa auch ein Leben vor dem Euro – und es hat gut funktioniert. Aktuelle Umfragen unter großen Unternehmen zeigen, dass diese auf den Euro keinen großen Wert legen und diesen nicht zwingend brauchen.
Aber das ist ein ganz anderes Thema, das den Rahmen des heutigen Beitrages endgültig sprengen würde… Schließen möchte ich mit einer Idee, die ich vor zehn Jahren – im Zuge der Euro-Einführung – schon einmal formuliert habe. Wie wäre es denn, wenn sich Deutschland, Österreich, die Schweiz, Dänemark, Schweden, Finnland und Norwegen zusammen täten? Ich könnte mir vorstellen, dass die Mentalitäten und die Wirtschaftsverfassungen in ihrer Übereinstimmung wesentlich größer sind als in der heutigen Eurozone. Auch die Interessen untereinander dürften wesentlich ähnlicher sein. Ich könnte mir deshalb nach wie vor vorstellen, dass eine solche Währungsgemeinschaft besser funktionieren würde.
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