Auch in Heilbronn laufen Preise für Wohnen davon. Mieten sind seit 2007 im Schnitt um 27 Prozent gestiegen, Kaufpreise im gleichen Zeitraum noch stärker um 35,4 Prozent. Eine alternativlose Entwicklung? Zu einer Podiumsdiskussion, moderiert von Stimme-Redakteur Manfred Stockburger, hatte die Volkshochschule den Geschäftsführer der Stadtsiedlung, Robert an der Brügge, Aufbaugildechef Hannes Finkbeiner, Mieterbundsvorsitzenden Alfred Huber sowie Robert Göötz eingeladen, Professor für Immobilienwirtschaft an der Hochschule Nürtingen-Geislingen.
Für Göötz gibt es bezahlbaren Wohnraum nur im Märchen. Dafür sieht er vier Faktoren verantwortlich. Die Wanderung der Bevölkerung: Menschen, die ein Erwerbsleben vor sich haben, wollen dort wohnen, wo sie für sich und ihrer Kinder eine Perspektive haben. Und das sei nicht in Sachsen-Anhalt oder im Thüringer Wald. Durch Arbeitsplätze im Gewerbe und bei Dienstleister habe Heilbronn ein hohe Jobquote und sei ein attraktiver Markt.
Witweneffekt
Knappes Grundstückangebot: Das Stadtgebiet von Heilbronn biete nur begrenzten Platz, um Menschen unterzubringen. Mehr Quadratmeter pro Einwohner: Um mehr als 25 Prozent ist der Wohnflächenbedarf seit Anfang der 90er Jahre gestiegen. Ein weiterer Faktor sind abnehmende Haushaltsgrößen, dazu kommt der Witweneffekt: „Frauen haben eine höhere Lebenserwartung und wenn ihre Männer sterben, dann haben sie die doppelte Wohnfläche für sich alleine.“
Das Angebot der Immobilien in Deutschland verstärke den Effekt: Zwei Drittel des Wohnungsbestandes stammt aus den 60er und 70er Jahren, damals gebaut für Vier-Personen-Haushalte, zwei Erwachsene und zwei Kinder. „In Wohnungen, die für vier geplant waren, leben oft nur noch zwei“, sagt Göötz. Bestehenden Wohnungen kleiner zu machen, sei irrsinnig teuer.
Schelte im großen Stil gibt es für die Politik und die zentralstaatlichen Vorgaben, die gleichermaßen für Städte in Mecklenburg-Vorpommern, für Hamburg oder Heilbronn gelten. „Die Unterschiede in der Lebenswirklichkeit werden ausgeblendet.“ Maßgebliche Ursache für steigende Mieten: gestiegene Baukosten durch staatliche Eingriffe wie Stellplatzverordnung, Legionellenprüfung, Brandmelderprüfung, Erneuerbare-Energien-Gesetz. Das habe Bauen um 25 Prozent verteuert. Vermieter müssten Mieten erwirtschaften, die höher sind als die Kosten. Fazit von Göötz: „Mit diesem Staat können sie nicht kostengünstig bauen und vermieten.“
Für Alfred Huber hat sich die Lage in Heilbronn in Sachen Mangel an günstigem Wohnraum zugespitzt. Zwischen 2012 und 2015 sei nicht eine einzige Sozialwohnung fertiggestellt worden. Gleichzeitig werde günstiger Wohnraum abgerissen. Das sieht auch Hannes Finkbeiner als Problem. In der Heilbronner Bahnhofsvorstadt seien entsprechende Wohnungen für Geringverdiener verschwunden, neue wurden nicht geschaffen.
Wohngemeinschaften
Großbaustelle Südbahnhof. Klassische Mietwohnungen entstehen dort aber nicht – weil es sich für Vermieter kaum rechnet. Foto: Andreas Veigel
Bezieher von staatlichen Transferleistungen wie Hartz-IV „bekommen nicht den Wohnraum, den sie brauchen“, deshalb würden viele aus ihrer Grundsicherung noch auf die Miete draufzahlen. Es gebe immer mehr Ein-Personen-Haushalte, aber gebaut werde in eine ganz andere Richtung. Finkbeiner prangert an, dass zunehmend Büros und große Wohnungen in „Wohngemeinschaften“ verwandelt und Zimmer einzeln vermietet werden würden. Er weiß von einem geduldeten Syrer, der für ein 17 Quadratmeter großes Zimmer an einer vierspurigen Ausfallstraße von Heilbronn 480 Euro Miete im Monat zahlen muss.
Robert an der Brügge sieht in Heilbronn einen Split bei den Einkommen: eine kleine Gruppe mit einem Millionen-Einkommen, auf der anderen Seite sehr viele, die unter dem Durchschnitt von 25 000 Euro jährlich verdienten. „Das erklärt, warum Wohnraum für viele nicht erschwinglich ist.“ Auch für Normalverdiener seien zehn Euro Miete pro Quadratmeter zu viel.
Experte
Göötz fordert mehr Kompetenzen für Kommunen, Ausnahmen bei Stellplatzverordnung oder Heizungssanierung zu ermöglichen. Eine Quote für geförderten Wohnraum lehnt er ab. Bei der Stadtsiedlung habe es sich bewährt, so an der Brügge, „Geld zu verdienen, um geförderten Wohnraum bauen zu können“. Flexibles, modulares Bauen sei ein Weg, günstigeren Wohnraum zu schaffen. Für Hannes Finkbeiner steht fest: „Wir zahlen als Gesellschaft drauf, wenn wir zu wenig Wohnungen haben.“
Quelle: http://www.stimmt.de/news/webreporter/vorort/2016/juni/art5982,90313