Stadtentwicklung „Wir müssen die Stadt neu erfinden“
Der Drang der Menschen in die Städte überfordert vielerorts Politiker und Verwaltungen. Neue Konzepte sind gefragt, doch es fehlen oft der Mut und die Bereitschaft, alte Zöpfe abzuschneiden.
Diese Woche ging, weitestgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit, in Quito die UNSiedlungskonferenz Habitat III zu Ende. Bei der Konferenz in der Hauptstadt von Ecuador ging es um die Frage, wie aus großen Städten lebenswerte Orte für alle werden könnten. Denn seit den 80er Jahren zieht es immer mehr Menschen in die großen Städte. Eine Folge: Der Wohnraum wird knapper und damit auch teurer. Das deckt sich auch mit einer aktuellen Studie des IVD Immobilienverbands Deutschland, die diese Woche vorgestellt wurde.
Außenseiter haben kaum noch Chancen
Der Ökonom Robert Göötz, Professor für Immobilienwirtschaft an der HfWU Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen-Geislingen, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Problematik. Er ist der Meinung, dass sich Stuttgart und die Region neu erfinden müssen, wenn sie die Probleme auf dem Wohnungsmarkt ernsthaft lösen wollen. In keiner anderen Metropole Deutschlands seien in den letzten Jahren die Preise für Wohneigentum und die Mieten so stark gestiegen wie in Stuttgart. Natürlich sei es schon immer etwas teurer gewesen, sich in Stuttgart mit Eigentum oder einer Mietwohnung zu versorgen, räumt er ein.
Mittlerweile habe der Druck auf den Stuttgarter Wohnungsmarkt aber bereits dazu geführt, dass er sich für Außenseiter praktisch vollkommen abgeschottet habe. Immobilienökonomen sprächen hier vom sogenannten Insider-Outsider-Effekt. Danach gibt es die sogenannten Insider, die sich am Markt bereits mit Wohnraum – sei es mit Eigentum oder zur Miete – versorgt hätten, und die Qutsider, die sich gerne versorgen würden, aber nicht können. Die Insider betrieben dabei eine Art Besitzstandswahrung. Das äußere sich unter anderem dadurch, dass der Wohnungsmarkt praktisch zum Erliegen kommt. „Von den Insidern macht sich keiner auf die Suche nach einer neuen Wohnung. Es wird versucht, den Status quo zu erhalten.“ Dieses Verhalten habe automatisch eine Blockade für die Outsider zur Folge, erklärt Göötz das Phänomen.
Die Folgen führten immer mehr zu einer Segregation ganzer Bevölkerungsgruppen. „Wer nicht über das nötige Einkommen verfügt, wird in den großen Städten immer öfter ausgegrenzt“, erläutert er. Letztendlich helfe auch die Mietpreisbremse bei der Verdrängung, da sich potente Mieter jetzt noch größere Wohnungen leisten könnten und so einkommensschwachen Familien den Zugang zu diesem Mietmarkt erschwerten oder unmöglich machten. Werde jetzt nicht gegengesteuert, werde es zu einer Spaltung der Stadtgesellschaft kommen, warnt Göötz. Das werde zwar nicht von heute auf morgen passieren, aber es sei ein schleichender Prozess, den man in Ansätzen schon seit einigen Jahren wieder beobachte. Weil sich einkommensschwache Bevölkerungsgruppen die Städte immer weniger leisten könnten, würden sie zwangsweise ins Umland ausweichen. Doch das habe fatale Folgen. Die Stadt gerate zunehmend unter Zugzwang, ihrer Aufgabe als Dienstleister für die Bevölkerung noch gerecht zu werden. Denn die, die das moderne und ach so hippe Stadtleben erst ermöglichen, könnten sich diese Stadt gar nicht mehr leisten. „Die Krankenschwester, der Polizist und der Straßenkehrer dürfen nicht an den Stadtrand verdrängt werden, nur damit die Stadt qualitativ wachsen kann“, fordert Göötz.
Eine Stunde Fahrtzeit zur Arbeit sind längst normal
Doch längst zieht der Stadtrand nach. Die Stadtplaner reden schon lange nicht mehr von Kilometerradien, wenn sie über die Entfernung vom Wohnort zur Arbeitsstelle sprechen. Das sei längst Makulatur. Heute gehe es darum, wie schnell man von A nach B kommt. Und eine Wegzeit von einer Stunde zur Arbeitsstelle sei heute normal, sagt der Ökonom. Wer sich die großen Städte nicht leisten kann, versuche zumindest, an den Verkehrssträngen der Region eine bezahlbare Bleibe zu finden. Doch Ludwigsburg, Esslingen oder die Filder unterschieden sich längst nicht mehr im Vergleich zur Stadt Stuttgart hinsichtlich der relativen Entwicklung von Mieten oder Kaufpreisen, betont Göötz. Vielen Wohnungssuchenden bleibe deshalb nichts anderes übrig, als an den Rand der Region Stuttgart zu ziehen. Letztendlich entscheide nur noch die persönliche Schmerzgrenze in Bezug auf die Entfernung zum Arbeitsplatz und das zur Verfügung stehende Geld für Wohnung und Transport über die Standortfrage.
Professor Göötz sieht die Lösung der Wohnraumprobleme nur im gemeinsamen Kontext aller Kommunen in der Region. Dabei gehe es vor allem darum, den Zuzug zu gestalten und nicht dem freien Spiel der Kräfte zu überlassen. „Es hat keinen Sinn, weiter die Gelder wie mit einer Gießkanne über das Land zu verteilen. Wir brauchen vielmehr ehrliche Prognosen, wie sich einzelne Kommunen in Zukunft entwickeln. Dazu gehöre aber auch die bittere Wahrheit, dass es Städte und Gemeinden auf dem Land geben wird, die dabei verlieren werden. „Der Wechsel der Bundeshauptstadt von Bonn nach Berlin und der damit verbundene Umzug von Behörden und Dienststellen kann dabei durchaus als Blaupause für die Region Stuttgart genommen werden“, sagt Göötz.