Wie werden in Deutschland eigentlich die Erträge / Einkommen aus Arbeit und Kapital besteuert? Und warum?
Dazu müssen wir zunächst einen Blick auf die „basics“ der Volkswirtschaftslehre werfen. Einer der großen Pioniere, David Ricardo, erkannte in Arbeit, Boden und Kapital die letztendlichen grundlegenden Produktionsfaktoren einer Volkswirtschaft. In der Weiterentwicklung der theoretischen Volkswirtschaftslehre wurde präzisiert und ergänzt zu: Arbeit, Kapital, Humankapital in Form von Wissen / Know How / Bildung und Natur & Umwelt. Durch Substitutionsmöglichkeiten bleiben in letzter Konsequenz die Faktoren Arbeit (einschließlich Humankapital) und Kapital (einschließlich Natur & Umwelt) als die bestimmenden Faktoren für die Entstehung (besser für die Schaffung) von Wertschöpfung übrig.
Bis heute gehen die Grundprinzipien der Besteuerung der Erträge aus Arbeit und Kapital auf David Ricardo, 1772 – 1823, zurück. Grundlegend ist sein Aufsatz On the Principles of Political Economy and Taxation aus dem Jahr 1817. Lesen lohnt sich. Und das möchte man so Manchem ans Herz legen. Aktuell macht wieder das Märchen die Runde, dass in Deutschland Arbeitseinkommen höher besteuert würden als die Erträge aus Kapital. Dem ist natürlich nicht so. Aber um das zu verstehen, muss man schon ein bisschen genauer hinsehen und nicht nur plump auf die Steuersätze der zuletzt anfallenden Steuer schauen.
Gehen wir davon aus, dass in einem Unternehmen (z.B. bei einem Mittelständler) eine bestimmte Wertschöpfung geschaffen wird. Dazu wurde Arbeit und Kapital benötigt. Nach Abzug der vertraglich vereinbarten Löhne, Gehälter und sonstiger Kosten wie etwa Mieten verbleibt ein Gewinn im Unternehmen. Dieser Gewinn ist noch nicht versteuert und stellt die Netto-Wertschöpfung dar, d.h. es ist die Wertschöpfung, die die direkten Kosten übersteigt. Nebenbei bemerkt: Es ist an dieser Stelle der Faktor Arbeit bereits bezahlt worden; das Kapital (welches das unternehmerische Wagnis trägt) ist noch nicht entlohnt worden. Doch dies nur am Rande…
Gehen wir für unser Beispiel davon aus, dass eine unversteuerte Wertschöpfung in Höhe von 100 EUR vorhanden sei. Diese soll nun einmal dem Faktor „Arbeit“ z.B. in Form einer Sonderzahlung, eines Bonus etc. zu Gute kommen (Fall A) oder aber den Eigentümern und Geldgebern der Firma in Form von Dividenden zufließen (Fall B). Übersetzt heißt dies, dass die Wertschöpfung einmal dem Faktor „Arbeit“ zugeordnet wird und somit Einkommen aus Arbeit darstellt oder im anderen Fall dem Faktor „Kapital“ zugeordnet wird und somit Kapitalerträge darstellen.
Wie sieht nun die Besteuerung von Arbeitseinkommen auf der einen Seite und die Besteuerung von Kapitalerträgen auf der anderen Seite aus?
A. Die Besteuerung von Arbeitseinkommen
Das Unternehmen bezahlt die 100 EUR als Brutto-Arbeitslohn an den Arbeitnehmer. Dieser muss die 100 EUR versteuern – es fällt Lohnsteuer bzw. Einkommensteuer und darauf der Solidaritätszuschlag an. Die Höhe der Steuerlast ist abhängig von der persönlichen Situation und dem persönlichen Steuersatz. Gehen wir von einem Durchschnittsverdiener aus (verheiratet, zwei Kinder, Allein-Verdiener, 3.600 EUR brutto), so beträgt der Steuersatz im Schnitt 10,3% (ohne Kirchensteuer); der Solidaritätszuschlag fällt nicht an. Dies bedeutet, dass der beispielhafte Arbeitnehmer auf die 100 EUR, welche ihm zufließen, rund 10,30 EUR Steuern zu bezahlen hat. (Steuerklasse 3,2) Nach Steuern verbleibt ein Betrag von 89,70 EUR.
Machen wir es teurer und gehen von einem alleinstehenden Spitzenverdiener ohne Kinder aus. Steuerklasse 1,0, monatliches Brutto: 20.000 EUR. Die Lohn-/Einkommensteuer beträgt 7.442,08 EUR zzgl. 409,31 EUR Solidaritätszuschlag. Der Steuersatz beträgt: 37,21% zzgl. 5,5% hierauf = rund 39,3% in Summe. Eine höhere steuerliche Gesamtbelastung der Arbeitseinkommen ergibt sich in praxi kaum noch. Theoretisch gleicht sich bei noch höheren monatlichen Einkommen der maßgebliche Durchschnittssteuersatz (= steuerliche Belastung auf das gesamte Einkommen) dem Grenzsteuersatz (= steuerliche Belastung auf die zuletzt verdienten Einkommensteile) an. Der so zu berechnende Maximalsteuersatz beträgt 42% zzgl. 5,5% hierauf = 44,3%, welcher aber de facto nie als Gesamtsteuerbelastung anfällt.
(Wenn Sie selbst nachrechnen möchten, bemühen Sie den offiziellen Steuerrechner des Bundesministeriums für Finanzen unter www.abgabenrechner.de)
B. Die Besteuerung von Kapitalerträgen
Das Unternehmen möchte die 100 EUR als Dividende an die Eigentümer / Geldgeber ausschütten. Zunächst fallen Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag sowie Gewerbesteuer an. Die Körperschaftsteuer beträgt 15%. Hinzu kommen 5,5% Solidaritätszuschlag auf den Steuerbetrag, so dass sich eine Belastung in Summe von 15,8% ergibt. Die Höhe der Gewerbesteuer ist abhängig von der Rechtsform des Unternehmens, dem Sitz (in welcher Gemeinde), der Betriebsstätten etc.. Im Schnitt liegt die Gewerbesteuerbelastung bei knapp 15%. Das bedeutet, dass beim Kapitaleigner von den 100 EUR zunächst einmal 100 EUR – 15 EUR – 0,83 EUR – 15 EUR = 69,17 EUR als zu versteuernde Dividende ankommen.
Auf diesen Betrag ist nun die Abgeltungsteuer in Höhe von 25% fällig und hierauf wiederum der Solidaritätszuschlag. Es ergibt sich ein Betrag in Höhe von 69,17 EUR – 17,29 EUR – 0,95 EUR = 50,93 EUR als Netto-Dividende, der beim Kapitaleigner ankommt. Die Besteuerung des Kapitalertrages beträgt also 49,07%.
Fazit
Wie schon einmal im Beitrag vom 1. März des Jahres dargestellt, werden in Deutschland die Erträge aus dem Produktionsfaktor „Kapital“ höher besteuert als die Einkommen aus dem Produktionsfaktor „Arbeit“. Es ist also genau umgekehrt als vielerorts behauptet – zuletzt auf dem gestern zu Ende gegangenen Parteitag der SPD. Diese hat scheinbar die gebetsmühlenartig vorgetragene, aber dennoch grundverkehrte Argumentation der Partei DIE LINKE übernommen. Wohl ohne im Vorfeld einmal nachzurechnen…
Oder vielleicht doch? Was passiert denn, wenn die SPD-Forderungen umgesetzt würden und der Spitzensteuersatz auf 49% und die Abgeltungssteuer auf 32% stiege? Nun einmal abgesehen davon, dass es ein Urteil des Verfassungsgerichtes gibt, nach welchem die Regel-Besteuerung des Einkommens 50% nicht übersteigen darf (also ein Verfassungsverstoß droht), würde die Besteuerung der Kapitalerträge auf 54,17% steigen (69,17 EUR – 22,13 EUR – 1,21 EUR = 45,83 EUR, die netto von 100 EUR brutto verbleiben). Es ist vor diesem Hintergrund sodann nur folgerichtig, gleichzeitig eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes zu fordern. In der Grenzbelastung des Faktors Arbeit (!) ist ja dann noch reichlich Platz… 49% Grenzsteuersatz bedingt je nach Beitragsbemessungsgrenze einen Gesamtsteuersatz von rund 48%. Hierauf 5,5% Solidaritätszuschlag ergibt eine maximale Belastung von Arbeitseinkommen von 50,64% – knapper Verfassungsverstoß inklusive, welcher sich aber mit ein bisschen „Hinrechnen“ heilen lässt.
Mit anderen Worten: Der Verstoß der SPD bedeutet nichts anderes, als den verfassungsmäßigen Rahmen der Besteuerung von Arbeitseinkommen (!) voll auszuschöpfen. Es soll bis an die Grenze ausgemostet werden. Das verkauft sich aber schlecht… Besser lässt sich das Forderungspaket kaschieren und zum Wähler-Markte tragen, wenn man auf die angebliche steuerliche Benachteiligung des Arbeitseinkommens verweist und fordert, die Kapitalerträge höher zu besteuern. Und dann natürlich die hohen Einkommen gleich mit… aber darum geht es eigentlich nicht, denn die Kapitalerträge werden ja schon heute höher besteuert als die Arbeitseinkommen. Ein Schelm, wer da denkt, dass es nur darum geht, die Steuern möglichst bis an die Grenzen zu erhöhen. Die Alternative hieße Sparen. Aber Sparen, das an anderer Stelle notwendig werden wird, um die Haushaltssituation der öffentlichen Hand in den Griff zu bekommen, könnte ja anstrengend sein und politisch unpopulär. Und da ist die SPD mit der Agenda 2010 ein gebranntes Kind…
Lassen Sie uns das noch ein wenig vertiefen. Gehen wir näher auf den Faktor „Arbeit“ ein…
So bedauerlich es ist – die Forderungen der SPD sind nicht geeignet, die Scheren-Entwicklung in den Einkommen (also dem Entgelt für den Faktor Arbeit) in Deutschland zu bremsen. Auch helfen die Forderungen nicht, mehr Menschen in Lohn und Brot zu bringen oder die Einkommenshöhe des sog. Niedriglohnsektors zu steigern. Hier schlägt eine überproportionale Besteuerung der hohen Einkommen und eine anschließende Umverteilung komplett fehl und kontakariert eher die Ziele. Es werden die falschen Leistungsanreize geschaffen und nicht die Ursachen des Problems bekämpft, sondern vielmehr ein wenig an den Symptonen „geflickt“.
Warum ist das so?
Die Ursache der vermeintlichen Einkommensungerechtigkeit ist in allererste Linie eine mangelnde Ausbildung der Personen in den unteren Einkommensgruppen. Das hat schon bereits mit Grundqualifikationen wie etwa „Kenntnis der deutschen Sprache“ zu tun. Dazu kommt in Teilen ein anerzogenes, blindes Abschieben der Verantwortung und der Zuständigkeit für das eigene Wohl auf den Staat. Ganz getreu dem Motto: Der Staat wird es richten. Warum? Weil er es muss. Warum? Weil es schon immer so war. Wenn ganze Generationen in einer Familie nur zu spüren bekommen, dass sie eigentlich nicht gebraucht werden und mit staatlicher Fürsorge zurecht kommen sollen (und müssen), dann darf man sich nicht wundern, dass hier (und das zurecht) die Verantwortung für die Lösung der Situation nicht bei sich selbst gesucht wird. Hier versagt der Sozialstaat.
Man muss offen aussprechen, dass wir in Deutschland einen Niedriglohnsektor haben, um gezielt Menschen ohne qualifizierte Ausbildung aufzufangen – mit dem Zweck, dass diese eine Möglichkeit haben, sich aus eigener Kraft etwas zum Lebensunterhalt zu verdienen. Und man muss dazu stehen, dass es große Einkommensspannen gibt und diese sich weiter ausdehnen werden, da in den qualifizierten Tätigkeiten die Wertschöpfung beständig steigen wird und damit auch dort die Einkommen steigen werden… und dies mit allen Konsequenzen – einschließlich des Erkaufens des sozialen Friedens über die Umverteilung von Geld und Leistungen an die Nicht-Qualifizierten.
Änderungen in der Steuerpolitik sind an dieser Stelle keine Lösung – erst recht nicht, Steuern zu erhöhen, um diesen Weg weiter zu finanzieren. Man kann stärker werdende Symptome einer Krankheit nicht verhindern, wenn man die Ursachen der Krankheit nicht selbst bekämpft… Diese „Krankheit“ lässt sich nur durch Bildung (= Produktionsfaktor „Humankapital“) und dann durch steigendes Einkommen in den Griff kriegen. Und wenn die Wertschöpfung in unserem Land in Summe groß genug ist, dann lässt sich die Einkommensentwicklung in den unteren Einkommen auch vorweg nehmen und die Bildung nachziehen – quasi als Kredit oder Vorschuss auf das steigenden Humankapital. Dazu braucht es aber mehr verfügbare Wertschöpfung in den Unternehmen, denn dort wird der Faktor „Arbeit“ entlohnt. Es gilt: Durch den Staat umverteilte „Almosen“ sind kein moralisches Entgelt für geleistete Arbeit. Wenn nun gefordert wird, die Steuern zu erhöhen, dann wird genau das Gegenteil des Notwendigen erreicht – die in den Unternehmen verfügbare (und verteilbare) Wertschöpfung nimmt ab. Es wird also immer schwieriger, steigende Entgelte für den Faktor „Arbeit“ darzustellen. Im Gegenteil: Der Druck auf die Arbeitsentgelte steigt – insbesondere im Niedriglohnbereich, weil es sich hier um Tätigkeiten handelt, die in den meisten Fällen keiner besonderen Qualifikation bedürfen und so besonders leicht im Ausland günstiger zugekauft werden können.
Das heißt, man hat vielleicht (oder sehr wahrscheinlich) das richtige Ziel vor Augen, das gewählte Instrument ist aber gänzlich ungeeignet.
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