Gestern waren es noch vier Wochen bis Weihnachten… Eigentlich ein Tag zum Freuen, denn die vor-weihnachtliche Stimmung hält so langsam Einzug. Pustekuchen! Es hätte ein schöner Tag sein können, wenn… ja, wenn da nicht die Vorschläge von Herrn Baroso, Präsident der EU-Kommission, gewesen wären. Herr Baroso hat drei Varianten von Euro-Bonds vorgestellt und treibt damit das leidige Thema in die nächste Runde. Der Druck wächst, die politischen Mühlen mahlen die Widerstände… und so gewinnt das Szenario, dass die Euro-Bonds kommen, weiter an Wahrscheinlichkeit.
Ich verweise hier auf den Artikel vom 13. Dezember 2010, in welchem ich schon einmal Stellung zu den damals noch recht diffusen ersten Überlegungen Stellung genommen habe. Nun wird die Sache konkreter und das Umfeld hat sich weiter deutlich verschlechtert. Die Idee der Euro-Bonds ist nicht besser geworden: sie ist ärgerlicher denn je. Dies erklärt auch die harsche Reaktion von Frau Merkel als sie mit den Vorschlägen von Herrn Baroso konfrontiert wurde. Sie nannte diesen Vorstoß „außerordentlich bekümmerlich“. Das finde ich sehr freundlich, aber auch zutreffend formuliert. Man hätte auch andere Worte finden können wie etwa „dreist“ oder „unredlich“, um noch kräftigere Worte zu vermeiden.
Ich habe manchmal leise Zweifel, ob verschiedene europäische Politiker noch mit der Realität verbunden sind, ob sie die Realitäten noch ungetrübt wahrnehmen. Anders kann ich mir manche Vorschläge, Vorstöße und Initiativen nicht erklären. „Ärgerlich“ ist das mildeste Wort, welches mir zu den Vorschlägen von Herrn Baroso einfällt.
Ärgerlich, weil Herr Baroso als Präsident einer europäische Institution offen dazu auffordert, geschlossene und ratifizierte europäische Verträge zu brechen. In den Verträgen zur EU und zum Euro wurde eine Vergemeinschaftung von Schulden explizit ausgeschlossen. Es ist ein schriftlich gegebenes Versprechen der Euro-Staaten untereinander und gegenüber ihren Bevölkerungen. Wo, frage ich mich, sind wir angekommen, wenn der Präsident der EU-Kommission öffentlich dafür wirbt, vorsätzlich Vertragsbruch zu begehen??? Da kann ich nur den Kopf schütteln… Ein solches Vorgehen ist nicht gerade förderlich, um das Vertrauen in die EU-Administration zu stärken.
Ärgerlich, wenn man tiefer hinter die Kulissen guckt. Drei Vorschläge sind formuliert:
1.) gemeinsame Bonds, aber ohne gemeinsame Haftung; die Idee sieht vor, dass es keine nationalen Staatsanleihen mehr gibt, sondern nur noch Euro-Bonds, dabei jedes Land nur für die Euro-Bonds haftet, die es selbst herausgibt. Man muss nicht lange in der Tiefe graben, um zu merken, dass dieser Vorschlag nicht gut durchdacht ist und erhebliche „Konstruktionsmängel“ aufweist. Die Euro-Bonds wären in sich homogen, nur die Volumina werden verteilt. Das hat zur Folge, dass die Bonds nach der Bonität des schwächsten Schuldners, der sich nicht unter dem Euro-Rettungsschirm befindet, bewertet würden – hier also wohl Italien oder Spanien. Und sehr wahrscheinlich ist es, dass es auf diese Benotung nochmals einen Risiko-Zuschlag gibt. Deutschland würde kaum solche Bonds herausgeben – viel zu teuer; das Papier entspricht nicht der Bonität des Schuldners. Diesen Gedanken muss man also nicht weiter verfolgen, zumal die schwachen Staaten keinerlei Vorteil hätten. Ich vermute, dass dieser Vorschlag eher ein Platzhalter ist, um auf die folgenden zu lenken.
2.) Alles in einen Topf: alle haften für alles – ohne Grenzen. Die Idee ist einfach. Wir tun so, als ob es die Vereinigten Staaten von Europa gäbe. Wir leben alle in einem Land, haben alle die gleichen Rechte und Pflichten. Dahinter steht die wunderbare Vorstellung eines gemeinsamen Wohlfahrtsstaates in einem geeinten Europa. Das ist eine ganz wunderbare Vorstellung – aber sind wir schon da? Oder ist es eher eine Vision? Solche Euro-Bonds bedeuten, dass wir die ganzen Bonitäten zusammen packen in einen großen Topf. Dies geschieht, indem wir die Wirtschaftsleistungen aller Euro-Länder zusammen addieren und ratierlich auf alle verteilen. Und dies unabhängig davon, wie viel der Einzelne dazu beiträgt. Das so errechnete BIP pro Kopf (vereinfacht: Wertschöpfung pro Bürger) würde bei der Bevölkerung in den Mittelmeerländern sprunghaft ansteigen, während es bei Mittel- und Nordeuropäern deutlich fällt – und zwar weit unter das, was sie sich mit ihrer Hände Arbeit selbst geschaffen haben. Oder ganz salopp ausgedrückt: der Norden arbeitet für den Süden – und bezahlt den Lebensstandard des Südens, welchen sich der Süden eigentlich nicht leisten kann. Jetzt muss man kein Prophet sein, um vorhersagen zu können, dass es für die Süd-Europäer überaus angenehm wäre, wenn es so käme – und, dass es nicht unbedingt den Anreiz fördert, sich zu bemühen, den eigenen Lebensstandard selbst zu erarbeiten. Hinzu käme ein politisches Momentum: Wie werden sich wohl süd-europäische Politiker verhalten? Nun, sie werden den Druck von der eigenen Bevölkerung nehmen. Das bringt politische Vorteile und Wählerstimmen….
Es ist an dieser Stelle bereits klar, dass dieses Instrument ungeeignet ist. Das ginge nur, wenn die EU eine politische Union wäre, mit einer gemeinsamen, demokratisch legitimierten Regierung – mit einer gemeinsamen Einnahmen- und Ausgabenpolitik, mit gemeinsamen Gesetzen, insbesondere bei den sozialen Sicherungssystemen. Kurz: es setzt die Vereinigten Staaten von Europa voraus. Dann, und nur dann, geht so etwas.
Noch schlimmer als das bei diesem Vorschlag verklärte Bild der politischen Situation in Europa ist der fehlende Blick auf die schnöde Wirklichkeit der Kapitalmärkte. Dieser Vorschlag stellt auf die Bonität von Deutschland, den Niederlanden, Österreich, Luxemburg und Finnland ab – im Wesentlichen auf Deutschland. Es geht darum, dass die Wirtschaftsleistung in diesen Ländern ausreicht, um alle anderen mitzutragen. Und das geht nicht. Ein Signal von den Märkten kam ebenfalls gestern. Die deutschen Staatsanleihen konnten zum gewünschten Zins nicht vollständig am Markt platziert werden. Die unverhohlene Häme und Schadenfreude einiger EU-Nachbarn ist – offen gesagt – dümmlich und kurzsichtig. Ganz offensichtlich verstehen sie das Signal der Märkte nicht. Es ist ein Warnschuss. Es ist ein Zeichen, dass Zweifel an der Tragfähigkeit Deutschlands bestehen, für die jetzt schon durch die Hintertür via EZB und Euro-Rettungsschirm vergemeinschafteten Schulden zunehmend einzustehen (vgl. den Beitrag vom 19.11.2011). Ganz einfach und deutlich formuliert: Deutschland spürt bereits in seiner Bonität die Auswirkungen als Zahlmeister für den Euro-Rettungsschirm und die Finanzierung der EZB. Es ist aber gerade die uneingeschränkte Bonität Deutschlands, die sich die europäischen Partner für die gemeinsamen Euro-Bonds wünschen, um auf diese abzustellen und sich selbst zu finanzieren. Eine abnehmende Bonität Deutschlands schadet also den Euro-Partnern. Es ist wie ein Schnitt ins eigene Fleisch – wie kann man sich darüber freuen?
3.) Alle haften für alles – aber nur bis zu bestimmten Grenzen. Dieser Vorschlag ist eine Modifikation des zweiten Vorschlages. Er wirkt ein zunächst wenig durchdachter. Die Idee ist, dass sozusagen die Grundverschuldung eines Landes durch gemeinsame Euro-Bonds erfolgt, für auch alle gemeinsam haften (sog. Blue Bonds). Diese Grundverschuldung könnte zum Beispiel der Höhe nach an den Maastricht-Kriterien für die Euro-Stabilität angelehnt sein. Diese sehen eine Schuldenobergrenze von 60% des Brutto-Inlandsproduktes vor. Dieses dritte Konzept sieht nun vor, dass ein darüber hinaus gehender Finanzbedarf durch individuelle Anleihen der einzelnen Staaten erfolgen soll (sog. Red Bonds).
Und jetzt wird schon klar, dass auch dieser Vorschlag abstrus ist. Da wird doch sehenden Auges vorgeschlagen, dass uns die Maastricht-Kriterien nicht mehr zu interessieren brauchen. Ja, für die gezielte Verletzung der Maastricht-Kriterien schaffen wir sogar extra ein neues Instrument. Auch hier kann man nur den Kopf schütteln. Hier wird die Hilflosigkeit und Planlosigkeit der EU-Kommission ganz offensichtlich. Hinzu kommt, dass dieser Vorschlag für die Blue Bonds alle Nachteile des zweiten Vorschlages übernimmt und für die Red Bonds all das gilt, was wir heute an den Märkten sehen – nämlich kein Vertrauen in die schwächeren Staaten. Was hätte man mit diesem Vorschlag also erreicht? Nichts. Im Gegenteil – man vereinigt alle Nachteile miteinander, und es wird kein Problem gelöst. Es wird so weitergehen bis bisher – und wir werden die Red Bonds durch die kalte Küche – sprich via EZB – vergemeinschaften. So landen wir am Ende wirtschaftlich wieder beim zweiten Vorschlag.
Ich fürchte aber, dass sich die EU-Politik auf den dritten Vorschlag versteifen wird. Weil es in sich so schön logisch klingt und Bezug nimmt auf Maastricht-Kriterien und die dort formulierte 60%-Grenze gut klingt. Ich glaube, dass viele EU-Politiker viel Gefallen an dem dritten Modell finden werden – als vermeintlichen Kompromiss.
Euro-Bonds können eine gute Idee sein – wenn Deutschland zuvor aus der Euro-Zone austritt. Dann können Diejenigen, die die letzlich ungedeckelte Vergemeinschaftung von Schulden wollen, überprüfen, wie gut sie mit der Idee fahren.
Abschließend gibt es noch einen Punkt, der sich zu erwähnen lohnt. Jeder Prozent-Punkt höhere Zinsen für deutsche Staatsanleihen (oder sodann deutsche Euro-Bonds) kostet den deutschen Steuerzahler rund 18 Mrd. Euro zusätzlich – Jahr für Jahr – über die Laufzeit der Bonds hinweg.
Nach vorsichtigen Schätzungen wird sich der Zinssatz bei den Vorschlägen 2 und 3 bei 4% bzw. 5% einpendeln. Das sind zwei bis drei Prozent-Punkte mehr, die Deutschland gegenüber heute mehr zu tragen hätte. Das wären grob überschlagen rund 36 bis 54 Mrd. Euro zusätzliche Belastung – Jahr für Jahr revolvierend. In zehn Jahren wären dies allein 360 Mrd. bis 540 Mrd. Euro harte Ausgaben in Geld.
Mit großer Mühe wurde jüngst erst eine Schuldenbremse in der Verfassung verankert. Ich frage mich, wie Bund und Länder diese zusätzlichen Zinskosten gegenfinanzieren wollen? Wo soll diese Summe an anderer Stelle eingespart werden? Das wird nicht gehen. Die Folgen wären deutliche Steuererhöhungen (zu Lasten der Konjunktur und des Konsums und damit der Binnenwirtschaft) und gleichzeitig deutliche Ausgabenkürzungen, vermutlich zuvorderst im Sozialbereich.
Ich glaube, der deutschen Bevölkerung (den deutschen Wählern) wird es nach den Hartz-Reformen, der Rente mit 67 etc. schwer zu vermitteln sein, dass weitere Steuererhöhungen und Sozialkürzungen notwendig werden, um die Euro-Bonds zu finanzieren und damit letztlich den Lebensstandard mancher Euro-Staaten zu bezahlen, den diese sich an und für sich nicht leisten können. Das ist sozusagen der Preis für einen europäischen Länderfinanzausgleich.
Nun sind aber die deutschen Politiker per Verfassung verpflichtet, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Dieser Schaden lässt sich vorausberechnen und auch abwenden. Es ist an der Zeit, sich auf zwei mögliche Auswege vorzubereiten: a.) neuer Euro, getragen nur von Kern-Ländern oder b.) Austritt Deutschlands aus der Euro-Zone und die Wiedereinführung der D-Mark. Auf beide Szenarien wurde schon mehrfach hingewiesen. Vielmehr vernünftige Alternativen bieten sich gegenwärtig nicht. Und vielleicht wäre es sinnvoll, in der EU einmal mit der zweiten Variante zu drohen…?
Eine schöne und besinnliche Vor-Weihnachtszeit!
Ihr Robert Göötz
edit: 26-11-2011, kleinere Korrekturen und Änderungen
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