Werden künftig vermehrt Streitigkeiten über Mieterhöhungen vor Gericht ausgetragen, weil bislang verlässliche Grundlagen wie ein Mietspiegel nicht mehr anerkannt werden?
‚Unser Mietspiegel hält jeder Überprüfung stand‘, ist sich Thomas Schwarz sicher. Der Amtsleiter des Statistischen Amtes der Landeshauptstadt hält das Urteil des Amtsgerichts Berlin-Charlottenburg für ein schlechtes Signal für Mieter und Vermieter.
Prof. Dr. Robert Göötz zur Mietspiegelproblematik
Was war geschehen? In einem Rechtsstreit um eine Mieterhöhung hatte ein Richter am Amtsgericht im Mai dieses Jahres entschieden, dass der Berliner Mietspiegel 2013 nicht nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt worden ist. Er sei daher kein qualifizierter Mietspiegel nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 558d BGB). Zum Verständnis: in Deutschland gibt es rund 600 Mietspiegel, in denen die ortsüblichen Vergleichsmieten festgelegt sind. In diesen Städten – so auch in Stuttgart – orientieren sich Mieter und Vermieter an einem Mietspiegel – wenn eine Mieterhöhung ansteht.
Die Ermittlung dieser Vergleichsmiete ist im Gesetz klar geregelt: So soll sie nach wissenschaftlichen Grundsätzen aus den üblichen Entgelten gebildet werden, die in der Gemeinde oder einer vergleichbaren Kommune in den letzten vier Jahren für Wohnraum vergleichbarer Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage einschließlich der energetischen Beschaffenheit und Ausstattung vereinbart oder verändert wurden.
In der Vergangenheit konnten zumindest in Stuttgart die betroffenen Parteien, Mieterverein auf der einen Seite und Haus & Grund auf der anderen Seite, gut mit der geltenden Praxis leben. Auch der in diesem Jahr vorgestellte Mietspiegel wurde wieder vom Statistischen Amt der Landeshauptstadt und den beiden Vereinen gemeinsam erarbeitet. Sogar an den Kosten von rund 70 000 Euro beteiligten sich alle Parteien.
Schon vor einem Jahr hegte Robert Göötz, Professor für Immobilienwirtschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt HfWU in Nürtingen-Geislingen, Zweifel, ob das aktuelle Verfahren von Mietspiegel und ortsüblicher Vergleichsmiete – vor allem in den großen Städten wie Stuttgart – überhaupt die geeignete Messlatte sei, und erntete dafür Kritik von den beiden Vereinen. Sein damaliger Hauptkritikpunkt: die aktuelle Praxis der Datenerhebung würde wissenschaftlichen Grundsätzen nicht genügen. Vor allem die erhobene Datenmenge hält der Wissenschaftler für kritisch.
So wurden zum Beispiel in Stuttgart für die Erhebung des aktuellen Mietspiegels 13 000 Haushalte nach dem Zufallsprinzip angeschrieben (zum Beispiel jeder zehnte Telefonbucheintrag). Zwischen drei und fünf Monaten dauert es, bis der Fragebogen erstellt, gedruckt, zugestellt und ausgewertet ist. Da in diesen Adressen auch Eigennutzer enthalten sind, müssen die abgezogen werden. Vom Rest, rund 10 000 Adressen, füllten rund ein Drittel (3500) den Fragebogen aus, von denen am Ende noch 1700 Haushalte relevant sind, da zum Beispiel Mieten des geförderten Wohnungsbaus nicht in den Mietspiegel eingehen. Dass sei zu wenig, kritisierte Robert Göötz schon vor einem Jahr.
‚Unsere Standards für die Erhebung liegen deutlich über den Mindestanforderungen‘, entgegnet Thomas Schwarz. Dass der eine oder andere Mieter bei den Angaben schummeln könnte, glaubt der Statistiker indes nicht. Deshalb gibt es auch keine Stichprobenkontrollen, bei denen zum Beispiel anhand des Originalmietvertrags überprüft wird, ob die gemachten Angaben auch stimmen. Robert Göötz fühlt sich durch das aktuelle Berliner Urteil in seiner Kritik bestätigt. Er befürchtet eine Klagewelle auf die Gerichte zurollen, wenn das Berliner Urteil in der nächsten Instanz bestätigt werden sollte.
Diese Einschätzung teilt auch Haus & Grund Württemberg. Rechtsanwalt Ottmar H. Wernicke, Geschäftsführer des Landesverbandes, rechnet mit einem Dominoeffekt und befürchtet, dass Mieter und Vermieter bei Rechtskraft dieses Urteils nicht mehr in der Lage seien, die ortsübliche Vergleichsmiete rechtssicher zu bestimmen. Deshalb müsse auch die Mietpreisbremse sofort gestoppt werden.
Der Mieterverein Stuttgart hält das Urteil des Berliner Amtsgerichts für eine Einzelfallentscheidung. Da aber im Grunde ein Mietspiegel in jedem Miethöhestreit angegriffen werden kann, müsse zur Stärkung der Rechtssicherheit die Bundesregierung von ihrer Ermächtigungsnorm (§ 558 c Abs. 5 BGB) Gebrauch machen und bundeseinheitliche Vorschriften über den näheren Inhalt und das Verfahren zur Aufstellung und Anpassung von Mietspiegeln erlassen, fordert der Vorsitzende Rolf Gaßmann. Es müsse eine Pflicht der Gemeinden zur Erstellung von Mietspiegeln geben, und zwar auf Grundlage aller am Ort gezahlten Mieten. ‚Für diese Problematik muss die Bundesregierung eine Lösung finden.‘
Beim Statistischen Amt der Landeshauptstadt wird das Thema weitaus gelassener gesehen, als es derzeit von den Verbänden und der Politik diskutiert wird. Zudem sei das aktuell verwendete Verfahren ausgereift und für die Größe einer Stadt wie Stuttgart absolut angemessen. ‚Wir sind von unserem Mietspiegel überzeugt, dass er in angemessener Weise die Lebenswirklichkeit in der Landeshauptstadt widerspiegelt‘, sagt der Statistiker.