Seine Begründung: gerade in großen Städten wie zum Beispiel Stuttgart könne das Konzept der ortsüblichen Vergleichsmiete eigentlich nicht wirklich funktionieren. Die in regelmäßigen Abständen abgefragten Werte aus Lage, Baujahr und Ausstattung lieferten nur ein sehr grobes Raster. Fragen etwa nach der Dauer des Mietverhältnisses oder ob es sich um eine Neu-, Wiedervermietung oder Bestandsmiete handele, fehlten aus seiner Sicht in vielen Erhebungen völlig.
Hinzu komme, dass manche Mietverhältnisse in einigen Kommunen von dem Konzept der ortsüblichen Vergleichsmiete überhaupt nicht tangiert seien. So vermieteten städtische Wohnungsunternehmen oft deutlich unter der ortsüblichen Vergleichsmiete, und auch die Baugenossenschaften würden den Wohnraum an ihre Mitglieder zu den von den Genossenschaften festgelegten Mieten abgeben.
Besonders kritisch sieht Göötz die Pläne der Großen Koalition. Nach diesen soll die ortsübliche Vergleichsmiete auf eine breitere Basis gestellt und realitätsnäher dargestellt werden. ‚Aber welche Relevanz, bitte schön, haben Mieten, die zum Beispiel vor vielen Jahren am Markt verlangt wurden, heute?‘, so der Professor. Mehr Realitätsnähe entstehe dadurch nicht – im Gegenteil: man entferne sich noch mehr, sagt er.
‚Das Statistische Amt ist bei der Erstellung des Mietspiegels strikt an die gesetzlichen Vorgaben gebunden, welche Mietverhältnisse bei der Erstellung eines Mietspiegels nur berücksichtigt werden können‘, erläutert Thomas Schwarz, Amtsleiter des Statistischen Amtes der Landeshauptstadt, das Verfahren. Geförderte Wohnungen seien dabei ebenso ausgeschlossen wie Mietverhältnisse, bei denen innerhalb der letzten vier Jahre die Miethöhe sich nicht geändert hat oder kein neuer Vertrag abgeschlossen wurde. Im Stuttgarter Mietspiegel werde auch erfragt, ob es sich um eine Neu- oder Wiedervermietung handele, so Schwarz.
Für Rolf Gaßmann, den Vorsitzenden des Stuttgarter Mietervereins, ist die Kritik, dass repräsentative Befragungen bei Mietspiegeln nicht die Wirklichkeit abbilden, völlig unverständlich. ‚Wissen wir doch, dass die auf repräsentativen Befragungen basierenden Hochrechnungen bei Wahlen in der Regel von der Wirklichkeit nur um minimale Prozentanteile abweichen‘, argumentiert er. Ulrich Wecker, Geschäftsführer von Haus & Grund, sieht das ähnlich. ‚Der qualifizierte Mietspiegel erfüllt eine sinnvolle Funktion. Er ist für Mieter und Vermieter ein verlässliches Kriterium, das den Mietwert einer Wohnung in einem bestehenden Mietverhältnis abbildet und ebenso die allgemeine Preisentwicklung berücksichtigt.‘
Für den Haus-&-Grund-Geschäftsführer ist der Mietspiegel auch hinreichend differenziert. Seine Matrix aus Lage, Baualter, Wohnungsgröße, Ausstattung und Lage führe zu 255 Feldern, in denen man seine Wohnung typischerweise einordnen könne. Zudem handele es sich um ein transparentes Verfahren, das auch den Mietern helfe, die vom Vermieter vorgenommene Einordnung zu kontrollieren. Im Übrigen sei in bestehenden Mietverhältnissen, die faktisch vom Vermieter nicht beendet werden können, ein gesetzlich vorgesehener Mechanismus notwendig, wie die Mieten an die allgemeine Entwicklung angepasst werden könnten.
Dass nicht alles im grünen Bereich ist, wissen aber auch die beteiligten Verbände. So kritisieren zum Beispiel die Mietervereine unisono, dass nur die teuren Mieten in die Mietspiegel einfließen dürften. Zum Hintergrund: noch bis 1982 mussten alle Mieten berücksichtigt werden, die in einer Gemeinde für nicht preisgebundenen Wohnraum bei der Befragung zum Mietspiegel erhoben wurden. Heute dürften nur noch solche Entgelte bei der Mietspiegelerhebung berücksichtigt werden, die in den letzten vier Jahren neu vereinbart oder erhöht wurden. Das führt aus Sicht von Gaßmann dazu, dass gerade in den Ballungsräumen und Universitätsstädten mit sehr großer Fluktuation der Bewohner durch oftmals mehrfache Neuabschlüsse von Mietverträgen für eine Wohnung in kurzer Zeit die Mieten exponentiell in die Höhe schnellten, während langjährige Bestandsmieten außen vor blieben‘, so der Vorsitzende vom Stuttgarter Mieterverein.
Dem hält Haus & Grund entgegen, dass es keinen Sinn macht, historische Preise zu betrachten. Vielmehr ist es so, dass der Mietspiegel im Gegenteil daran krankt, nicht die aktuellen Neuvertragsmieten abzubilden, sondern lediglich Bestandsmieten. Damit lägen die bestehenden Mietverhältnisse immer deutlich unter dem aktuellen Markt und seien deshalb immer im Vorteil. Haus & Grund wie der Mieterverein sehen den Mietspiegel aber auch als befriedende Funktion, der zumindest in Stuttgart von den Akteuren am Wohnungsmietmarkt auch anerkannt werde. Ulrich Wecker: ‚Der Mietspiegel ist eine der gesetzlichen Begründungsalternativen, die den Mietvertragsparteien bei bestehenden Mietverhältnissen die Möglichkeit bietet, die Miete entsprechend der Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage der Wohnung zu vereinbaren. Auch werden Mieter in bestehenden Mietverhältnissen durch den Mietspiegel geschützt, denn kein Vermieter kann bei einem laufenden Mietvertrag über den Mietspiegel hinausgehen.‘
Auch beim Mieterverein ist man mit der aktuellen Regelung zufrieden. Dass nur die wenigsten Mieterhöhungsstreitigkeiten vor Gericht mit einem Sachverständigengutachten landen, führt Rolf Gaßmann auch auf den Mietspiegel zurück. Gäbe es ihn nicht, müsste bei jedem Streit das Gericht beschäftigt und ein teures Gutachten erstellt werden. Ingo Dalcolmo
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