Interview der Stuttgarter Nachrichten zum Thema „Wohnen im Alter – mehr Geld für Altenwohnungen“. Den Artikel der Stuttgarter Nachrichten finden Sie in gekürzter Form hier: https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.wohnen-im-alter-mehr-geld-fuer-altenwohnungen.c9e364b1-2b48-4bb2-8669-21f6b1c8aea2.html
Hier das ausführliche Interview:
Herr Göötz, es geht um den Umbau des Wohnungsbestands für altersgerechtes Wohnen. Sowohl der Demographiebeauftragte des Landes als auch die Landesverbände von Haus und Grund bringen eine Verdopplung der Fördermittel ins Spiel. Daher hätte ich gerne eine Einschätzung zu folgenden Fragen:
Wie hoch schätzen Sie den aktuellen und kommenden Bedarf an altengerechtem Wohnraum in Großstädten wie Stuttgart ein?
Ich kann hier nur auf verschiedene, teilweise stark voneinander abweichende, Schätzungen verweisen. Deren Qualität ist schwer zu beurteilen, da teilweise auch ein wenig Lobbyarbeit und jeweiliges Eigeninteresse mit eingeflossen zu sein scheinen.
Ich nehme daher die Zahlen des Statistischen Landesamtes als Grundlage – Beispiel Stuttgart.
2016 waren 112.557 von 628.032 Personen, also 17,92% 65 Jahre und älter. Für 2035 wird „offiziell“ mit 131.271 von 648.198, entsprechend 20,25% gerechnet.
Das klingt erst einmal nach „nur“ 2,33%. Tatsächlich sind es aber 18.714 Menschen mehr in absoluten Zahlen. Bezogen auf die Ausgangsbasis ist es also ein relativer Anstieg von rund +16%. Das kommt der Antwort auf Ihre Frage schon näher. Weiter ist zu beachten, dass insbesondere die Anzahl der „Hochbetagten“ exponenziell steigt. Diese Personengruppe hat noch ganz andere Anforderungen – ihr Anteil an der Stadtbevölkerung wird relativ gesehen um über 20% steigen.
Ich würde deshalb vorsichtig schätzen, dass der zusätzliche Bedarf an besagten Wohnungen bis 2035 um zumindest 16% steigen wird. Für Stuttgart wären dies rund 9.000 Wohnungen zusätzlich.
Wie wichtig ist es, dass Menschen in ihrer angestammten Umgebung wohnen bleiben können und im hohen Alter nicht unnötig umziehen müssen?
Die Antwort auf diese Frage ist besonders schwer, da auch und gerade das Alterseinkommen eine große Rolle spielt. Einen alten Baum verpflanzt man nicht, heißt es so schön. Leider gilt aber auch, dass der alte Baum es sich leisten können muss, am angestammten Platz bleiben zu können. Das wird in den Groß- und Universitätsstädten immer schwieriger werden. Wir kennen auch bereits Umzüge an die polnische Grenze oder nach Polen, weil dort Leben und Pflege preiswerter und bezahlbarer sind.
Wie wichtig ist es, den Bestand entsprechend umzubauen?
Ich persönlich gehe von folgender Ausgangslage aus:
- Die Menschen werden immer älter – und mit zunehmendem Alter leider auch irgendwann gebrechlicher und kränker. Dies führt dazu, dass der Bedarf an altersgerechtem Wohnen und insbesondere auch an barrierefreiem und pflegegerechtem Wohnen ansteigen wird. Das sind jeweils unterschiedliche Ausbauqualitäten, die auch wesentliche Baupreis-Unterschiede in der Herstellung haben.
- So viele Pflegeplätze wie wir als Gesellschaft benötigen werden, können wir in Pflegeeinrichtungen gar nicht bauen. Dies hat zur Folge, dass wir auch die Pflege in die heimischen vier Wände zunehmend werden verlagern müssen. Dazu müssen diese entsprechend umgebaut werden, wo dies möglich ist.
Mit anderen Worten: Es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als eben das zu tun. Kommen wir zurück auf das Beispiel von Stuttgart. Wo sollen die zusätzlichen 9.000 altersgerechten Wohnungen herkommen? Neu bauen? Wohl kaum. Es geht nur durch Umbau im Bestand. Mit allen Folgen, die sich daraus ergeben.
Wie realistisch ist es, dass das Problem verstärkt über den Neubau statt über den Umbau des Bestands (wie aktuell gefordert) gelöst werden kann?
Das ist – mit Verlaub – absoluter Nonsens und gehört wohl in den Bereich des politischen Sommertheaters wie gerade so Vieles… es sei denn, man baut außerhalb der besonders betroffenen Ballungsgebiete, die ich genannt habe. Dies hieße aber in der Konsequenz, dass die älteren Menschen umziehen müssten und wir „Altensiedlungen“ schaffen. Wollen wir das?!
Das Interview führte Sven Hahn / Stuttgarter Nachrichten.