Der „aktuelle“ Stuttgarter Mietspiegel für 2015/16 wurde von 210 Wohnungstypenklassen auf 306 Klassen erweitert. (http://service.stuttgart.de/lhs-services/komunis/documents/10594_1_Der_Stuttgarter_Mietspiegel_2015_2016_ist_erschienen.PDF)
Damit wurde der Stuttgarter Mietspiegel noch feingliederiger als er es ohnehin schon war. Doch ist er damit auch „besser“ – im Sinne von „präziser, wirklichkeitsnäher“ geworden?
Wenn man den Anspruch erhebt, dass ein Mietspiegel repräsentativ ist und damit ein getreues Abbild der Marktwirklichkeit widerspiegelt, dann hat der aktuelle Mietspiegel nicht an Qualität gewonnen. Er hat sich vielmehr eher noch weiter von diesem Anspruch entfernt als zuvor. Warum?
Von den 10.300 an Mieterhaushalte verschickten Fragebögen konnten letztlich nur 1.720 ausgewertet werden, um ein scheinbar repräsentatives Bild des Stuttgarter Mietwohnungsmarktes von rund 180.000 frei vermieteten Wohnungen, neu eingeteilt in 306 verschiedene Klassen, zu erstellen. (http://www.immobilienverlag-stuttgart.de/wp-content/uploads/archiv_pdf/2014/Immobrief_162_2014.pdf) Ein einfacher Test mit dem einschlägigen Modell von William G. Cochran (vgl. auch https://idiw.de/index.php/archives/1919/gedanken-zur-erstellung-von-mietspiegeln-beispiel-der-stadt-stuttgart) zeigt sofort an, dass man dieser Stichprobe weit entfernt ist von den Möglichkeiten, eine statistisch repräsentative Umfrage zu erstellen. (Anmerkung für die interessierten fachlich versierten Leser: von einer Bereinigung von Pfadabhängigkeiten und Tracking Error gänzlich abgesehen.) Dabei sei an dieser Stelle ausdrücklich gesagt, dass das Statistische Amt der Landeshauptstadt keinerlei Schuld trifft. Was sollen die Damen und Herren machen? Sie leisten eine gute Arbeit… was können sie aus diesem Datenaufkommen machen?
Nun, es bleibt ihnen eigentlich nichts anderes übrig, als eine mehr oder minder simple Regressionsanalyse aufzubauen – und diese mit den spärlichen, verfügbaren Daten zu testen. Was heißt das genau? In einfachen Worten: Wenn die Rückläufer aus einer Erhebung zu gering sind, um eine repräsentative Untersuchung durchzuführen, dreht man den Spieß um. Man nimmt ein Modell (also eine Annahme wie der Markt ist) und versucht diese Annahme durch die Ergebnisse der Stichprobe zu „validieren“. Man guckt also, ob die realen Antworten mehr oder minder in das Modell passen. Das hat natürlich mit einer repräsentativen Erhebung und Ableitung der Marktsituation auf Grundlage von echten Primärdaten nur sehr begrenzt etwas zu tun… Aber was sollen die Damen und Herren vom Statistischen Amt anderes machen? (ich lasse mich gern belehren…) Eigentlich können sie nur zu dieser Krücke greifen. Allerdings dreht diese Krücke den Anspruch völlig herum: Es wird eben nicht ein repräsentatives Abbild der Wirklichkeit aufgrund einer validen Umfrage erstellt… vielmehr wird eine Annahme (und damit eine implizierte Vorstellung bezüglich der Marktwirklichkeit) mit einigen, wenigen Antworten versucht zu untermauern. Das mag das Beste sein, was möglich ist… ist aber methodisch und inhaltlich weit von der ursprünglichen Idee entfernt. (Hinweis für die interessierten Leser: Wie erfolgt eigentlich die Bereinigung der Pfadabhängigkeiten und die Überprüfung der Validität der wenigen Antworten? Gar nicht – siehe Stuttgarter Zeitung) Oder mit anderen Worten: Weil die auswertbare Menge an Antworten so gering ist, wird gezwungenermaßen unsauber gearbeitet. Es bleibt nichts anderes übrig. Das Statistische Amt macht – aus meiner Sicht – fast alles richtig und verfehlt dabei leider das Ziel. Insbesondere wird es nicht dem Anspruch an das Arbeiten nach wissenschaftlich anerkannten Grundsätzen gerecht, wie es das Gesetz nach § 558 d BGB fordert.
Warum? Zu den absoluten „basics“ des wissenschaftlichen Arbeitens gehört es, dass das verwendete Formelwerk veröffentlicht wird. Ebenso der Umfang der Zielgrößen (wieviele Wohnungen in jeder der 306 Klassen gibt es in Stuttgart?), der Umfang der Stichprobe (wieviele Antworten gibt es für jede der 306 Klassen?) sowie Angaben zu Pfadabhängigkeiten (z.B. Häufung von Antworten von Rentnerhaushalten) und deren Bereinigung sowie Angaben zum Tracking Error. Alle diese Angaben fehlen zum Stuttgarter Mietspiegel. Er genügt in der vorliegenden Form daher nicht dem Anspruch nach wissenschaftlichen Grundsätzen aufgestellt worden zu sein. Damit erfüllt er m.E. nicht die Anforderungen nach § 558 d BGB – und hätte vor einem ordentlichen Gericht keinerlei Bestand.
Was kann man leicht besser machen?
- beide Seiten befragen – Mieter wie Vermieter
- elektronisch Daten erheben, am besten online
- Verprobung der Angaben – per Stichproben kontrollieren, ob die gemachten Angaben den Tatsachen entsprechen
- Offenlegung des Algorithmus
- Offenlegung des Zielsystems / wieviele Wohnungen je Klasse
- Offenlegung der Stichproben je Klasse
- Gewinnspiel, um die Teilnahme zu erhöhen
Oder ganz anders:
- Abgleich der Daten Finanzämter bzgl. Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung mit Grundsteuerbescheiden der Stadtkämmerei sowie Einträgen der Adressen in den Stadtplänen / Katasterkarten zur Identifikation der Lagekategorie
Diese Stichworte sollen schon genügen, um zu zeigen, dass es einfach wäre, die Qualität des Mietspiegels um ein Vielfaches zu verbessern. Scheinbar ist dies aber gar nicht gewünscht. Werfen wir nochmals einen Blick auf das Datum des Mietspiegels 2015/16. Was da den Anschein erwecken soll, für 2015/16 zu gelten, ist im Dezember 2014 (!) publiziert worden und wertet die Bewegungen im Zeitraum von März 2012 bis März 2014 aus. Was, bitte, hat das mit der Marktwirklichkeit in den Jahren 2015 und 2016 zu tun? Nichts. Rein gar nichts. Natürlich nicht.
Ganz offensichtlich gibt es kein Interesse, ein wirklichkeitsgetreues Abbild des Stuttgarter Mietwohnungsmarktes der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Wenn Sie es dennoch wenigstens so ungefähr versuchen möchten… aktuelle darf man von einem deutlichen Nachfrage-Überhang am Stuttgarter Wohnungsmarkt ausgehen. Es wollen bedeutend mehr Menschen eine Wohnung anmieten als Wohnungen zur Miete angeboten werden. In einer solchen Marktsituation ist es sehr wahrscheinlich, dass die Marktmacht eher bei den Anbieter des knappen Gutes als bei den Nachfragern liegt. Oder einfacher ausgedrückt: Es ist eine Marktsituation, die eher zugunsten der Vermieter als zugunsten der Mieter wirkt.
Es daher sehr wahrscheinlich die Angebotsmiete am Markt durchgesetzt werden. Die Möglichkeiten für einen Mietinteressenten die Miete durch geschicktes Verhandeln zu senken, dürften sehr begrenzt, da viele Interessenten um wenige Wohnungen konkurrieren. Die Angebotsmiete wird somit zur aktuellen Marktmiete für neue Mietverträge. Und das entspricht auch exakt der Lebenswirklichkeit der Menschen. Es ist bei einem Umzug mithin nicht möglich in einen „alten“ Mietvertrag einzusteigen, der z.B. schon 20 Jahre läuft und damit eine sehr moderate Miete aufzeigt. Wenn man umzieht, schließt man einen neuen Mietvertrag zu den dann gültigen Marktkonditionen. Mithin ist dies die aktuelle Marktmiete. Bestandsmieten haben dem Grunde nach für einen Wohnungssuchenden keinerlei Bedeutung – er kann diese nicht nutzen.
Die aktuellen Angebotsmieten finden Sie in den einschlägigen Internet-Portalen… bitte nicht wundern, wenn diese so gar nichts mit dem Stuttgarter Mietspiegel zu tun haben.