Ist es nicht noch immer auffallend ruhig in Deutschland? Frau Merkel steht vor der Bundestagswahl. Merken Sie etwas vom Wahlkampf? Wenn es Ihnen so geht wie mir, dann stellen wir gemeinsam fest: Es ist Sommer in Deutschland und offensichtlich herrscht in der politischen Welt eine Sommerpause. Von Wahlkampf ist weit und breit nicht viel zu sehen.
Die Kapitalmärkte jedoch schlafen nicht. Hier geht es auf und ab Montag weiter – und so auch das ewige Hase-Igel-Spiel zwischen den Zinsen und Inflation. Werfen wir also einmal einen Blick auf die Entwicklung der wichtigsten Zinssätze seit dem Bestehen der Bundesrepublik Deutschland.
Wie Sie unschwer erkennen können, haben wir derzeitig (genauer seit 2009) die niedrigsten Zinssätze seit der Geburt der Bundesrepublik. Dies gibt uns schon eine wichtige Indikation, dass wir uns, eingebettet in die Eurozone, ganz offensichtlich in einer der schlimmsten Krisen seit dem Zweiten Weltkrieg befinden. Nun merkten wir in Deutschland nichts davon – zumindest noch nicht. Wenn Sie sich noch einmal kurz den Artikel zur Inflation und der Einführung des harmonisierten Verbraucherpreisindex ins Gedächtnis rufen, erkennen Sie auch hier die typischen Muster in den Zinskurven wieder. Nun hat sich etwas Wesentliches verändert… Werfen wir dazu einen genaueren Blick auf die Entwicklung des Basiszinssatzes im Vergleich zur Inflationsrate in Deutschland.
Zunächst einmal entdecken wir die typischen Muster, die wir schon aus der Entwicklung der Inflationsrate kennen. Dieses Muster begleitet uns bis zur Einführung des harmonisierten Verbraucherpreisindex im Jahre 1995. Da die Zinsen, gesteuert über die Leitzinsen, immer eine Reaktion auf die Entwicklung der Inflationsrate als Ausdruck der konjunkturellen Entwicklung sind, ist es nicht verwunderlich, dass wir eine weit gehend synchrone Entwicklung beobachten können.
Allerdings muss die Zentralbank bei ihrer Zinspolitik auch andere Einflussfaktoren berücksichtigen. Hier erzählt uns die Zinskurve eine spannende Wirtschaftsgeschichte:
Mit dem Höhepunkt des Vietnamkrieges und der Herausgabe von Kriegsanleihen in den USA steigt das Zinsniveau auf über 7% in Deutschland. Dies ist eine Folge der hohen Zinssätze für die US Kriegsanleihen. Diese führen zu Institutionen in den USA und seinem Abfluss von Geldern in Deutschland. Um diesen Abfluss zu bremsen, steigen in Deutschland die Zinsen. Mit der Wende in Vietnam Krieg, den weltweiten Protesten gegen diesen Krieg und den hohen Zinsen, beginnt eine deutliche Rezession in Deutschland. Die Konjunktur erlebt einen starken Einbruch, so dass in der Folge die Leitzinsen rasch sinken.
Das Vertrauen in die US Währung und ihre Deckung durch physisches Gold sind weltweit zunehmend. Die englische Forderung nach Eintausch der Dollar-Reserven in Gold führt 1973 zum Zusammenbruch des Bretton Woods Systems. Die faktische Golddeckung von Währungen ist am Ende. Dollar und Pfund verlieren rapide an Wert. Es findet weltweit eine erste Flucht in die deutsche Währung statt. Die Konjunkturspringt an; die Wechselkurse werden neu justiert; es entsteht ein hoher Aufwertungsdruck auf die DM.
Es folgt die erste Ölkrise. Sie hat einen drastischen Konjunktureinbruch zufolge – eine Reaktion der Politik damals war unter anderem die Einführung von autofreien Sonntagen. Fahrradfahren auf den Autobahnen war möglich und sorgte für bis heute prominente Fotografien. Zinsanpassung nach unten waren die Folge.
Es dauerte einige Jahre bis sich die Konjunktur holte. Insbesondere die USA mussten ihre rüstungslastige Industrie umbauen. Hierfür waren große Mengen an Kapital notwendig. Um dieses bereit zu stellen, verfolgten die USA die so genannte Hochzinspolitik. Kapitalanlagen in Dollar wurden sehr attraktiv und führten zu einer Abwertung der DM. Hiervon profitierte die deutsche Exportwirtschaft. Allerdings war eine Kapitalflucht ins Ausland zu beobachten – 20% Zinsen auf das Tagesgeld waren möglich!
Es folgte die zweite Ölkrise, die Sparkassen-Krise in den USA, deren Folgen über 160 Milliarden US-Dollar betrugen und die USA bis in die 2000-er Jahre begleitete. Der Schaden trug in den USA zu den hohen Budgetdefiziten in den 1980-er Jahren und zur Rezession Anfang der 1990-er bei. Es folgten die Schuldenkrise in Lateinamerika und der erste Iran-Irak-Krieg. Die Konjunktur in Deutschland kühlte sich rasch ab; Zinssenkungen waren die Folge. 1986 erlebte Deutschland die erste Deflation, eine negative Inflationsrate.
Mit der deutsch-deutschen Wiedervereinigung im Jahre 1989 und der steuerlichen Sonderregelungen, schaffte sich Deutschland ein besonderes Konjunkturpaket. Dies führte zu einer Überhitzung in der Konjunktur und sorgte für einen Basiszins von fast 9% – einmalig in der deutschen Geschichte. Mit dem Beginn des ersten Golfkrieges brach die Konjunktur ein, die Stimmung an den weltweiten Märkten verdunkelte sich. Rasche Zinsensenkungen waren die Folge – bis zur Jahrtausendwende erlebten wir eine Seitwärtsbewegung auf niedrigem Niveau.
Die Jahrtausendwende brachte uns die „Revolution“, das Internet im großen Stil. Ein neuer Vertriebskanal, eine Eigenschaftswelt war geboren. Die Party hielt nicht lange an – im Herbst 2001 platzte die Dot Com Blase. Milliarden von US-Dollar an Börsen werden lösten sich in kurzer Zeit in Nichts auf. Es war die Dot Com Blase, nicht etwa die zu ungefähr gleichen Zeit stattfindenden Anschläge auf das World Trade Center in New York.
Die westliche Welt, eigentlich die gesamte Welt, befand sich in einer Art schockzustand, welcher in eine Weltwirtschaftskrise mündete. Zinssenkungen auf bis dahin unbekannt niedrige Niveaus waren die Folge. Hier fand das erste europäische, zinsmotivierte Konjunkturprogramm der EZB statt. Der Basiszinssatz blieb über einige Jahre hinweg unterhalb der Inflation. Das Risiko einer Liquiditätsschwemme und einer möglichen Überhitzung der Konjunktur wurde bewusst in Kauf genommen. Der Spread zwischen Inflation und Basiszins lag in etwa bei einem Prozent. Dies schien durchaus vertretbar.
Die konjunkturelle Erholung und ein beginnender Boom der Jahre 2006-2008 fanden ein jähes Ende mit dem Zusammenbruch und Pleite von Lehman Brothers.
Nun folgen in kurzem Abstand zwei entscheidende Krisen, die das weltweite Finanzsystem einschließlich der Kapitalmärkte in ihren Grundfesten erschüttern. Es handelt sich um die weltweite Bankenkrise, in welcher etliche Institute in den Konkurs gehen und/oder abgewickelt werden müssen sowie die europäische Schuldenkrise, die neben den Krisenländern im Mittelmeerraum uns auch den ersten Staatsbankrott der Neuzeit in Europa bescherte.
Die Summe dieser beiden Krisen hat die größten Auswirkungen auf das weltweite Finanzsystem und die europäische Zinspolitik. In kürzester Zeit werden die Zinsen auf ein Niveau nahe null und kurze Zeit danach auf unter null gesenkt. Mit dem Jahreswechsel 2012/2013 erleben wir den ersten negativen Basiszins in der deutschen Geschichte. Es ist ein einmaliger Vorgang – ein Vauban-Spiel der europäischen Zentralbank. Von Hazadeuren möchte ich an dieser Stelle nicht sprechen – die Geschichte wird diese Bewertung übernehmen. Es ist jedoch bereits heute festzustellen, dass der Spread zwischen Zins und Inflation historische Ausmaße angenommen hat. Dieser liegt in der Spitze bei rund 3% – und dies schon über einige Jahre hinweg. Dieses eine offensichtlich bewusst eingegangene Entwertung des Geldes, die der Zentralrat der EZB zum Ausdruck bringt. Mit einem negativen Basiszins wird den Märkten in letzter Konsequenz doch gesagt: “Gib Dein Geld doch lieber aus, ehe Du es bei mir anlegst. Es wird doch sowieso weniger wert – schon allein durch den negativen Basiszins.“
Das nenne ich Chuzpe.
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