Das Sankt-Florian-Prinzip dokumentiert auf eindrucksvolle Weise eine allzu menschliche Eigenschaft: Man löst potenzielle Gefahren oder Probleme nicht, sondern verlagert diese auf andere. Im englischen Sprachraum hat man dafür eine eigene Abkürzung als Ausruf erfunden: Nimby – Not in my backyard.
Kein Wunder also, dass auch die Kapitalmärkte ein passendes Produkt gefunden haben und es zweckentfremden…
Skizzen zu einer neuen Kapitalmarkt-Ordnung – Teil 3
Die Idee hinterm dem Kapitalmarktprodukt ist einfach: Verlagere das Risiko aus der eigenen Spekulation auf andere. Damit geht einher die Trennung von eingegangenem Risiko und erzielbarer Rendite; es wird mithin ein Grundgesetz des Kapitalmarktes außer Kraft gesetzt. Die Rede ist von abgewandelten Leerverkäufen und ebensolchen Kreditausfallversicherungen.
Die Credit Default Swaps, kurz CDS, sind ursprünglich eine Erfindung der us-amerikanischen Investmentbank JPMorgan Chase aus dem Jahr 1997. Die Grundidee ist einfach und entspricht einer Kreditausfall-Versicherung. Wann immer ein Darlehensnehmer nicht in der Lage ist, seine Schulden ganz oder teilweise an den Darlehensgeber zurückzubezahlen, entsteht Letzterem ein Schaden. Gegen diesen Schaden kann er sich versichern: Für den Fall, dass der Darlehensnehmer ganz oder teilweise ausfällt, soll der resultierende Schaden in weiten Teilen durch eine Versicherung ausgeglichen werden. Also zunächst einmal eine klassische Kreditversicherung.
Zu Grunde liegt also ein Darlehensverhältnis. Typischerweise hat eine Bank im Rahmen ihres originären Geschäftes einen Kredit vergeben. Es ist dabei die Aufgabe und Pflicht der Bank, die Ausfallrisiken richtig einzuschätzen und diese entsprechend in die Kosten des Kredites einzupreisen. Warum kommt also eine Bank auf die Idee, ihr originäres Geschäftsrisiko, genau genommen, die Grundlage ihres Geschäftes versichern zu wollen?
Es gibt nur zwei Gründe. Erstens: die Bank sieht sich selbst nicht in der Lage das Risiko wirklich einzuschätzen, möchte das Geschäft aber trotzdem tätigen. Zweitens: die Bank möchte durch diese Gestaltung die gesetzlichen Vorschriften zur Eigenkapitalunterlegung gezielt umgehen. Beides so geschehen bei JPMorgan Chase. Hier entstand die Idee, dass man mehr Kredite vergeben kann (als man eigentlich mit bestehendem Eigenkapital quotal absichern konnte), wenn man einen externen Dritten mit ins Boot holt, der im Fall des Falles den Schaden in weiten Teilen für die Bank ausgleicht. Das war der Ursprung und versetzte Spezialbanken in die Lage, Kreditrisiken eingehen zu können, die weit über ihre eigene Bonität, Leistungsfähigkeit und innere Stabilität hinausgingen.
Damit wurde der Grundstein gelegt, die Kreditvergabe weit über das eigene Leistungsvermögen hinaus auszudehnen und die Bank in ihrer inneren Stabilität auszuhölen und im Bestand zu gefährden. Die Wettbewerbsvorteile wurden mit einer Instabilisierung und bewusster und gezielter Umgehung gesetzlicher Regelungen erkauft. Dies sei an dieser Stelle erwähnt, da im Schadensfalle die ohnehin geschwächte Bank nochmals geschwächt wird und im Zweifel (je nach Größe und Markt-Bedeutung) vom Steuerzahler gerettet werden muss. Der Erfindungsreichtum gepaart mit bewusstem Fehlverhalten der Bankverantwortlichen wird hier also im Zweifelsfall durch den Steuerzahler „belohnt“… Im Gewinnfall bleibt der Ertrag in der Bank; im Schadensfall wird der Verlust an die Steuerzahler durchgereicht und sozialisiert. Sie ahnen es schon – das Sankt-Florian-Prinzip hält Einzug.
Wie funktioniert nun ein CDS? Das Besondere an einem CDS-Papier ist, dass die Versicherungspolice (also das CDS) handelbar gemacht wird. Sprich: Der Kreditausfallschutz wird von dem eigentlichen Kredit getrennt und kann beliebig weiterverkauft werden. Und das ist das eigentliche Problem, da nun die Interessen auseinander fallen können und sie auch tatsächlich auseinander fallen. Hier erfolgt der Bruch mit einem der „Grundgesetze“ des Kapitalmarktes: Das Risiko (Eintreten eines Verlustes aus der Kreditvergabe) fällt mit dem möglichen Ertrag (Schadensersatz-Zahlung) auseinander. Das Zweckentfremden des Produktes ist nun in Gang gesetzt und die Eskapen am Markt absehbar.
Während es für Bank und Versicherungsgeber das Interesse ist, dass der Kredit nicht ausfällt, ist es das Interesse des CDS-Käufers, dass umgekehrt genau dies geschieht. Der Spekulant verdient am Ausfall eines Kredites, den er nie vergeben hat. Er hat ein originäres Interesse daran, dass sich die Bonität der Kreditnehmers verschlechtert bis hin dazu, dass der Kreditnehmer tatsächlich ausfällt. Mit anderen Worten: Der Spekulant verdient an einem Risiko, das er selbst nicht eingegangen ist.
Es ist das originäre Interesse von CDS-Spekulanten, den Kreditnehmer schlecht zu reden und diesen auch durch gezielte Falsch- und Fehlinformationen und/oder Indiskretionen in seiner Bonität zu beschädigen. Damit verdienen sie Geld – im Falle Griechenland betrug die Marge je nach CDS-Kontrakt über 100%.
CDS sind eine Fehlentwicklung im Markt, die bereinigt werden muss. Das Produkt ist im gewissen Sinne nicht nur die Reinform des Sankt-Florian-Prinzips, sondern dessen Pervertierung. Man hofft nicht darauf, dass man selbst vom Schaden verschont wird. Nein, man hofft, setzt und wettet darauf, dass der Schaden einen anderen ereilt, um daran zu verdienen. Und man ist versucht, durch geeignete Maßnahmen, den Schadenseintritt noch zu befördern. Das dies nichts mit dem Sinn und Zweck des Kapitalmarktes oder dem Grundgedanken einer Kreditausfallversicherung zu tun hat, ist offensichtlich.
Es ist notwendig und relativ leicht, hier effektiv zu korrigieren. Im Rahmen der Kapitalmarktordnung muss man nur die Auflage erteilen, dass ein CDS nur gemeinsam mit dem zu Grunde liegenden, versicherten Kredit verkauft werden kann. Damit zwingt man die Banken, sich auf ihr ureigenes Geschäftsmodell zurückzubesinnen und verhindert wirkungsvoll das Auseinanderfallen von Rendite und Risiko. Und mit diesem Schritt „erwischt“ man en passent auch die Rating-Agenturen, welche einen großen Anteil an CDS-Spekulation hatten, da sie die CDS-Zusammenhänge nicht sehen oder nicht sehen wollten. Wenn Kredit und Ausfallversicherung nur im Paket verkauft werden können, ist das Kreditrisiko nicht zu übersehen.
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