Goethe ist ja immer für ein Zitat gut. Diese Zeile aus Faust I wurde im Jahr 1808 veröffentlicht und ist bis heute, gut 200 Jahre später, aktuell.
Ist das wirklich so? Ich meine ja. Das Streben nach Geld und unsere Abhängigkeit von Geld als Gegenwert und Tauschmittel für erbrachte Leistungen und Waren ist unsere tägliche Wirklichkeit. Die Euro-Krise, Bankenkrise und die Griechenlandkrise machen uns unsere Abhängigkeit vom Geld deutlich wie selten zuvor.
Die Diskussion, was „Geld“ denn eigentlich ist, können wir an anderer Stelle führen. Rein volkswirtschaftlich betrachtet, sollte die Summe des Geldes den Gegenwert aller Waren, Güter und Dienstleistungen darstellen. Der Wert des Geldes bestimmt sich ursprünglich also aus dem, was diesem real gegenübersteht… Und da sind wir schon mitten im Thema. Es geht darum, dass Geld und damit das Schaffen von Geld aus einer realen Leistung, respektive aus einem realen Gut entspringt. Der Blick auf die Eskapaden an den Finanzmärkten lässt Zweifel aufkommen, ob alle dort Agierenden sich dem noch bewusst sind.
Skizzen zu einer neuen Kapitalmarkt-Ordnung – Teil 2
Das Zitat aus Goethes Faust lenkt uns auf die im ersten Teil der Skizzen aufgeworfene Frage nach der Marktethik und der Marktverantwortung – und der Frage, wie am Kapitalmarkt diese Werte verstärkt implementieren kann. Schließlich wollen wir uns nicht einem anderen berühmten Zitat aus Goethes Faustus konfrontiert sehen: „Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, und grün des Lebens goldner Baum.“
Dass es mit ethischen Grundsätzen und dem lieben Geld nicht immer gut bestellt ist, erkannte schon Tibullus im Jahre 27 v.Chr. in seinen ersten Eligien: „Oft pflegen im Gold viele Übel zu stecken.“ Daran hat sich bis heute, 2.000 Jahre später, nichts geändert. Die Schäden, die unethisches Verhalten und Gier am Kapitalmarkt hervorrufen, sind heute aber um ein Vielfaches größer.
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Androhung von Strafen und Sanktionen nicht wirklich viel Wirkung entfaltet hat. Die Geschäfte am Kapitalmarkt sind im Volumen nicht kleiner, im Risiko nicht geringer und auch nicht transparenter geworden. Im Gegenteil: Verbote, Zwecksteuern und neue Regularien haben zur Verlagerung und Verschleierung von Geschäften geführt und die Kreativität in der Produktgestaltung beflügelt, um die neuen Regeln möglichst zu umgehen. Mit einem Wort: dieses eher simple Instrumentarium einer restriktiven Gesetzgebung bringt nicht viel. Im Gegenteil – es führt durch das stimulierte Ausweichverhalten eher dazu, dass die eingegangenen Risiken in den Märkten in der Tendenz eher zunehmen, und damit das gesamte Risikoniveau im Markt steigt.
Man benötigt einen anderen Ansatz… für einen Teil der Märkte kann die Moral Persuasion mehr Erfolg bringen. Ich möchte dies an einem konkreten Beispiel erläutern. In der EU werden Jahr für Jahr viele Milliarden Euro für die Subventionierung der Landwirtschaft ausgegeben. Im Jahr 2009 waren es rund 55 Mrd. EUR, die die europäischen Steuerzahler für die Subventionierung ihrer Landwirtschaft und Fischerei auf EU-Ebene aufgebracht haben. Im Jahr 2011 waren es über 60 Mrd. EUR, zu denen noch die nationalen Förderungen hinzukamen, so dass in Summe rund 100 Mrd. EUR Subventionen in den Sektor geflossen sind. Das ist sehr viel Geld, welches Jahr für Jahr in die Landwirtschaft gepumpt wird – es sollte ursprünglich dazu führen, dass Landwirtschaft innerhalb der EU erhalten, Natur sinnvoll genutzt wird und die Menschen qualitativ hochwertige und zugleich bezahlbare Lebensmittel zur Verfügung haben. Doch wie immer, wenn Subventionen im Spiel sind, ist die Versuchung der Abschöpfung und Umleitung der Gelder groß. Und bei solchen Summen erst recht…
Ein paar Zahlen… (Quelle: fao.org) Von 2000 bis 2010 haben sich die Lebensmittelpreise erhöht (außer in Japan und in den Niederlanden):
Ägypten +125% (also mehr als verdoppelt; verdoppelt = +100%)
Äthiopien +259%
Algerien +57%
Argentinien +187%
Australien +45%
Bangladesch +95%
Bhutan +63%
Botswana +146%
Canada +31%
China +65%
Deutschland +18%
Frankreich +21%
Ghana +325%
Griechenland +31%
Guatemala +129%
Irak +230%
Japan +1%
Kenia +50%
Lesotho +81%
Malawi +171%
Mosambik +229%
Nicaragua +163%
Niederlande +1%
Nigeria +255%
Pakistan +168%
Russland +227%
Spanien +31%
Tschad +69%
USA +30%
Im gleichen Zeitraum ist die weltweite Lebensmittelproduktion um knapp 26% gewachsen, die Zahl der permanent Hungernden ist von 826 Mio. auf 925 Mio. Menschen angewachsen.
Wie kann es sein, dass wir immer weiter steigende Beträge für die Agrarsubvention ausgeben und immer mehr Lebensmittel produzieren, aber gleichzeitig die Preise für Lebensmittel und damit die Anzahl der Hungernden ständig steigen? Ein Teil kann über die ansteigende Weltbevölkerung erklärt werden – gleichwohl verkommen noch immer Lebensmittel oder werden gezielt vernichtet. Soll heißen: es ist eigentlich genug Nahrung vorhanden, so dass niemand Hunger leiden müsste.
Der reinen Lehre nach, müssten die Preise für Lebensmittel bei steigenden Subventionen und steigender Produktion relativ gesehen im Preis fallen. Tatsächlich aber steigen die Preise. Die Ursache sind Rohstoff-Spekulanten, die die Welt der Lebensmittel für ihre Transaktionen entdeckt haben. Wenn Zink, Kohle oder Öl nicht ausreichen, gibt es ja noch Weizen, Mais, Kaffee, Kakao – und demnächst Trinkwasser.
Zu den schlimmsten Verwerfungen am Kapitalmarkt zählen die Rohstoff-Spekulationen, insbesondere die Spekulationen mit Lebensmitteln. Sie führen gerade in den ärmsten Ländern der Welt zu horrenden Preisentwicklungen und treiben Menschen in den Hungertod.
Dies ist genau der Punkt, wo man mit dem Instrument der Moral Persuasion ansetzen kann. Ein Verbot der Spekulation mit Rohstoffen und Lebensmitteln wird nicht funktionieren – dazu müssten alle Handelsplätze der Welt, geregelte wie ungeregelte und OTC-Märkte, kontrolliert werden. Das ist illusorisch.
Aber stellen wir uns einmal vor, dass wir uns in der EU nur einmal die Rechenschafts- und Geschäftsberichte der für den Handel am europäischen Kapitalmarkt zugelassenen Produkte anschauen. Im ersten Schritt schauen wir uns die Produkte der in der EU ansässigen Banken, Hedgefonds und Kapitalanlagegesellschaften an – nehmen wir dabei die Publikumsfonds, Spezialfonds, Optionsscheine und Zertifikate in den Fokus. Und nun schauen wir nach, in welchen neu-entstehenden Produkten direkter oder indirekter Handel mit Lebensmitteln stattfindet… Um den administrativen Aufwand gering zu halten, müssen die Produktanbieter die Angaben hierzu machen und diese nachweisen und dafür unterschreiben. Es erfolgen stichprobenhafte Kontrollen.
Sie merken schon jetzt, wo die Reise hingehen kann. Bis hierhin ist es ein ziemlich kleiner Schritt, der aber enorme Wirkung entfalten kann wie wir gleich sehen werden.
Stellen Sie sich einmal vor, dass die EU-Kommission einmal im Monat eine Liste mit den Anbietern im Internet veröffentlicht, die Produkte am Markt haben, die Spekulationen auf Lebensmittel enthalten. Stellen Sie sich EU-weite Anzeigen in Printmedien vor – stellen Sie sich eine Zeitungsseite vor, die ein verhungerndes Kind in Afrika zeigt und dazu einen Text: „Die folgenden Banken, Hedgefonds und Kapitalanlagegesellschaften verdienen am Hunger und Sterben dieses Kind mit.“
Das Prinzip heißt „öffentliche Ächtung“. Stellen Sie sich einmal vor, wie sich das Image der Anbieter in der öffentlichen Wahrnehmung entwickelt – und wie die Geschäftsaussichten sich entwickeln. Dieses Vorgehen verbietet kein Produkt und keine Spekulation – es wird aber dazu führen, dass in der EU nur noch Produkte neu an den Kapitalmarkt kommen, die frei sind von Lebensmittelspekulationen. Um dies weiter zu motivieren, könnte die EU auch eine „white list“ führen, mit Anbietern, die sich freiwillig verpflichtet haben, weltweit keine Produkte herzustellen oder zu vertreiben, die Lebensmittelspekulationen beinhalten.
Weiter kann man bestehende Produkte sukzessive überprüfen und den Anbietern eine Frist zur Umstellung der Anlagestrategie einräumen. Wird diese Frist nicht genutzt wird, erlischt die Handelszulassung in der EU.
Die „Liste der Schande“ wird keinesfalls auf die europäischen Anbieter begrenzt, sondern umfasst alle Anbieter, die in der EU am Kapitalmarkt tätig sein wollen. Und man kann die Liste ausdehnen auf Produkte und Anbieter, die nicht in der EU aktiv sind. Nehmen wir als fiktives Beispiel einen us-amerikanischen Hedgefonds, der mit Weizen oder Mais spekuliert… Ich bin mir sehr sicher, dass europa- und weltweit rasch eine Szene entstehen wird – ähnlich wie bei der Plagiatssuche oder Wikileaks – die Finanzdienstleister und Produkte nachweisbar und belastbaren Beweisen versehen an die EU melden wird. Die EU wiederum wird im weltweiten Wettbewerb gegenüber ihren Mitbewerbern sich als Vorreiter darstellen können. Nachzieh-Effekte in den USA und Japan sind recht wahrscheinlich – von anderen Märkten ist vielleicht nicht auszugehen. Das mag sein – aber man hat dann, ähnlich wie bei den Menschenrechten, immer wieder ein Thema auf der Tagesordnung bei gemeinsamen Konsultationen.
Nun ist nicht jegliche Spekulation mit Lebensmitteln falsch. In einem solchen Konstrukt gilt es auch europäische Marktteilnehmer vor einem verzerrten Wettbewerb mit dem Ausland zu schützen. Auch dies ist relativ leicht zu bewerkstelligen. Einen Handelszugang zu den Rohstoff-Börsen erhalten die Erzeuger, Hersteller und die Weiterverarbeiter. Dazu ist nicht einmal eine Begrenzung für den eigenen Bedarf erforderlich, da „über-quota-Mengen“ nicht an Spekulanten verkauft werden können…
Diese Skizze ist natürlich recht grob. Sie zeigt aber einen einfachen und sehr effektiven Weg auf – und ist eine Blaupause für den gesamten Rohstoffmarkt und die generelle Eindämmung der Spekulation auf diesem. Es ist wünschenswert, wenn die Verbraucher weltweit nicht die Gewinne von Spekulanten bezahlen müssen (z.B. durch überhöhte Energiepreise, Lebensmittelpreise, …), die diese mit Rohstoffen erzielen, die sie selbst nicht benötigen und damit keine reale Wertschöpfung erzeugen. (siehe Prolog zum Wert von Geld) Wir müssen zurück zu den Ursprüngen der Rohstoff-Börsen: der Sicherung des eigenen physischen Bedarfes und des eigenen physischen Absatzes. Hierauf sollte sich die Politik zuvorderst kümmern.
Alles eine schöne Theorie?
Ich bin mir sehr sicher, dass die Politik große Unterstützung der europäischen Bevölkerung für ein solches Vorhaben haben wird. Das Abschöpfen von Subventionen durch Spekulation wird sinken, ebenso die Preise für Lebensmittel. Bei gleicher Lebensmittelproduktion werden mehr Menschen sich Nahrung kaufen können – die Verbraucher werden weniger bezahlen; es könnten sogar Subventionen zurückgefahren werden. Ein Beispiel hierfür lieferten im Herbst 2011 die USA. Sie beschlossen das Ende der Subventionen für Treibstoff aus Pflanzen. Daraufhin fiel der Preis für Mais. Das kam insbesondere der Bevölkerung in Zentralamerika und in Ostafrika zu Gute. Einen anderen Beleg lieferte jüngst die Deutsche Bank. Sie hatte sich auf ein Produkt eingelassen, das mit fiktiven Lebensversicherungen auf die Lebenserwartung von realen Menschen spekuliert. Je früher diese sterben, umso mehr verdienen die Anleger. Auf Druck der Ombudsstelle des Bankenverbandes („Dies ist mit unserer Wertordnung, insbesondere der in ihrem Mittelpunkt stehenden Unantastbarkeit der menschlichen Würde, kaum in Einklang zu bringen.“), hat die Deutsche Bank das Produkt vom europäischen Markt genommen.
Moral Persuasion wirkt – man muss nur damit anfangen.
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